© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Jenseits von Gut und Böse
Kaiserliche Begierden: Claudio Monteverdi in der Dresdner Semperoper
Sebastian Hennig

Sueton überliefert uns die Kunde von Kaiser Nero als einem Liebhaber der Architektur, einem Wiedererwecker der Baukunst des Vitruv und einem Verfasser von Liebesgedichten. Der moralische Tacitus präsentiert uns dagegen einen zynischen Brandstifter, aus dem die christlichen Legenden später einen antiken Dracula stilisieren, der sich in seinen Lustgärten an den Qualen der Märtyrer weidet. In Halbwahrheit und Dichtung bleibt uns der Kaiser überliefert als eine der legendärsten Gestalten der Weltliteratur. Mit „L’incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi ist Nerone 1643 auch in der Opernhierarchie inthronisiert worden.

Dabei ist das Libretto des dichtenden Edelmannes Giovanni Francesco Busenello ein durchaus heterogenes Gebilde. Die Aufführungspause in Dresden teilt den Abend noch deutlicher in zwei Hälften. Die erste wäre besser mit „Der Tod des Seneca“ überschrieben. Der angeordnete Selbstmord des Stoikers ist eine Manifestation der Selbstüberwindung. Seneca ist ein vorchristlicher Heiland. In der Oper erlöst er allerdings nur den Kaiser von seiner mahnenden Gegenwart. Die Botschaft des Philosophen findet keinen Reflex im Fortgang der Handlung.

Die Geschichte um die eigentliche Krönung der Favoritin des Kaisers und die Verstoßung der Ottavia endet in einer Apotheose der Monarchie. Wie das Beil aus dem Liktorenbündel fährt eine festliche Fassade herab vor das wirre Bühnenhaus der Begierden. Aus einem Fenster grüßt das neue kaiserliche Paar herab. Projektionen von schwärmenden Feuerwerken illuminieren den Triumph der irdischen Liebe.

Die Inszenierung von Florentine Klepper unterstreicht diesen Aspekt der Renaissance-Weltanschauung. Der Selbstherrscher ist die Manifestation der göttlichen Ordnung in menschlicher Gestalt. Sein Erscheinen garantiert den grundsätzlichen Frieden. Die Kategorien von „gerecht“ und „ungerecht“ messen nicht ihn, er mißt sie zu. Ob es in der Absicht der Regie lag, diese Seite eigens zu betonen oder diese nur durch Zurückhaltung begünstigt wurde, erschließt sich nicht.

Der musikalische Raum weitet sich, wenn die Bläser von den Seitenemporen akustische Verbindung zum Orchesterklang aufnehmen. Immer wieder schlägt die Orgel ihre majestätischen Brücken. Das kaiserliche Instrument begleitet die Klage der Ottavia (Christa Meyer) und den Urteilsspruch des Nerone. Großartig, wie der Countertenor Franco Fagioli nervös-zitterig von Seneca (Georg Zeppenfeld), dessen Baßstimme ihn wie eine Festung birgt, vergebens die philosophische Fundamentierung seiner Begierden erheischt. Sinnige Dramaturgie: den Hoheiten die höchste Stimmlage zu verleihen. Das Prinzip des Feuers und der Sonne im männlichen Herrscher kommt mit schriller Eindringlichkeit zum Ausdruck, jenes des Wassers und des Mondes mit einer tieferen Lage bei den Frauen.

Die Bedienstete der Poppea Arnalta (Rebecca Raffell) wird durch einen Alt charakterisiert, der fast an die Baß-Lage grenzt. Nachdem Seneca sich eine Kugel in den Kopf schießt, ergeht sich der Kaiser im Vorgefühl des Besitzes mit der Mätresse in einem lüsternen Tanz mit aufreizendem Kastagnetten-Geklapper, Trommelschlag und rhythmischer Gitarre. Die dunkelhäutige Sänger-Darstellerin der Poppea Nicole Heaston verkörpert glaubhaft als eine schwarze Venus im Baudelaireschen Sinne die ganz irdische Begierde des Kaisers nach ihrem Leib. Ein Anschlag auf sie wird durch Amore, die personifizierte Liebe, tatkräftig verhindert. Während der anschließenden peinlichen Befragung kann sich Amore keine Geltung verschaffen. Die Kaiserin und ihre Partei werden des Landes verwiesen.

Der Orchestergraben ist abgedeckt und zum Teil überbaut. Im linken Vordergrund sind die achtzehn Musiker der „Capella Sagittariana“ postiert mit einem antiquarischen Instrumentarium. Das Orchester wurde in den siebziger Jahren von Musikern der Staatskapelle gegründet. Vor fünf Jahren vereinigte sich die Kapelle mit dem Ensemble „Alte Musik Dresden“. In dieser neuen Besetzung fand nun die erste Opernaufführung in der Semperoper statt. Die musikalische Leitung hatte Rubén Dubrovsky inne, designierter Leiter der Schwetzinger Barockfestspiele.

Aber nicht die Szene oder das magere Orchester erfüllen den großen Saal. Allein die Sänger durchdringen und beherrschen das Auditorium vom Parkett bis in den vierten Rang. Die Farben der Stimmen malen das Gemälde dieses Abends. Als Gesang und Musik schließlich zusammen verklingen, ist nicht nur in der Handlung der brutale Egoismus mit der Staatsordnung ausgesöhnt; auch des Betrachters Verhältnis zum Bühnenbild hat sich befriedet. Das Chaos hat sich gemäßigt.

Gesiegt über alle Gefühle hat eine vierhundert Jahre junge Musik, die eine Entelechie der abendländischen Musikdramatik ist. Die abgegriffene Bezeichnung „frenetisch“ ist passend für den Grad des Schlußbeifalls.

Die nächsten Vorführungen von „L’incorona-zione di Poppea“ in der Dresdner Semperoper, Theaterplatz , finden statt am 6., 9. und 25. Mai und dann wieder im Oktober. Kartentelefon: 03 51 / 49 11 705

 www.semperoper.de

Foto: Countertenor Franco Fagioli (Nerone), Vanessa Goikoetxea (Damigella), Georg Zeppenfeld (Seneca) in „L’incoronazione di Poppea“ in Dresden: Die Farben der Stimmen malen das Gemälde des Abends

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