© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Gegen linksliberalen EU-Zeitgeist
Ungarns neue Verfassung: Zeugnis einer geschichtsbewußten Nation
Klaus Hornung

Osterverfassung“ nennen die Ungarn ihre neue Verfassung, die Staatspräsident Schmitt am Ostermontag in Kraft setzte. Der Name zeigt, daß eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments und der Wähler der Auffassung sind, daß bei der Wahl vor einem Jahr eine historische Zäsur stattgefunden hat. Die vorige Verfassung stammte noch aus dem Jahr 1949, als das Land sich dem Sowjetkommunismus und Stalinismus unterwerfen mußte. Mit dem Sturz des Kommunismus vierzig Jahre später wurde sie nur oberflächlich korrigiert. Die nationalkonservative Partei Fidesz Viktor Orbáns, die jetzt die Regierung stellt, hatte daher zu Recht die Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu einer ihrer ersten Aufgaben erklärt.

Dieses neue Verfassungsdokument und seine feierliche Präambel (siehe unten) bringen zum Ausdruck, wie sehr sich die Ungarn wie kaum eine andere Nation im wiedervereinigten Europa in ihrer historischen Kontinuität sehen und bis auf ihre Staatsgründung durch König Stephan I., den Heiligen, vor nun ziemlich genau tausend Jahren, zurückführen. Auch die neue Verfassung nennt den Staat ausdrücklich eine Republik. Doch sie beruft sich zugleich auf die „Heilige Krone“ des Staatsgründers und sieht den Staat ausdrücklich als Verkörperung der ungarischen Nation, die auch die nicht-magyarischen Nationalitäten – darunter auch die deutsche – einbezieht, die alle ebenfalls schon seit Jahrhunderten gemeinsam in diesem Land leben und zusammenwirken. Die nationalkonservative Tradition kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Verfassungspräambel ausdrücklich Familie und Nation als den „wichtigsten Rahmen des Zusammenlebens“ bezeichnet.

Diese Verfassung ist natürlich bei weiten Teilen der meinungsbildenden Schichten in Europa mit ihren völlig entgegengesetzten linksliberalen Überzeugungen auf heftige Kritik gestoßen. Hier, wo man längst Homosexualität, Singletum und Alleinerziehung zum fortschrittlich-demokratischen „Wertesystem“ rechnet, ist man natürlich mit dem Vorwurf leicht bei der Hand, die neue ungarische Verfassung sei „undemokratisch“, wenn nicht gleich reaktionär oder antidemokratisch. Insbesondere verweist man dann darauf, daß sie nicht durch Volksabstimmung verabschiedet wurde. Das gilt nun freilich ebenso für eine so geheiligte demokratische wie die der Vereinigten Staaten von 1776 und nicht zuletzt auch für das deutsche Grundgesetz. Im übrigen kann man darauf hinweisen, daß von den insgesamt 23 Verfassungen in Osteuropa seit 1989 nur zehn durch Volksabstimmungen bestätigt wurden, hingegen 13 allein durch die Legislativen.

Sicherlich hat die neue ungarische Verfassung eine Reihe von Alleinstellungsmerkmalen unter den Verfassungen im heutigen nichtkommunistischen Europa. Doch eine Mehrheit der ungarischen Bürger mit über Zweidrittel-Stärke sieht sie vor allem als längst fällige und legitime Alternative zur vorherigen kommunistischen Diktatur, gegen die sich die Ungarn bekanntlich über mehrere Jahrzehnte hin so erbittert gewehrt haben, vor allem im Jahr 1956, als sie einsam sich gegen das Sowjetimperium erhoben, und dann erneut im Herbst 1989, als sie mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs das erste Signal für den osteuropäischen Völkeraufstand und nicht zuletzt für die antikommunistische Erhebung in Mitteldeutschland gaben. Sie rebellierten abermals im Vorjahr gegen die Oligarchie ihrer einstigen sozialistischen Beherrscher, die den Meinungsführern in Brüssel und Washington offensichtlich sympathischer waren als die jetzige Mehrheit, die aus den freien Wahlen des Vorjahres hervorging.

Dieses Volk und seine Verfassung wird von einem geschichtlichen Selbstbewußtsein geprägt, das sich in schweren geschichtlichen Erfahrungen gebildet hat, von dem Kampf gegen die Türkenherrschaft vor dreihundert Jahren bis hin zur Rebellion gegen das Sowjetimperium. Eine solche Nation kann nur als Gewinn für das heutige Europa verstanden und gewürdigt werden.

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