© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

„Berlin haßt die Polizei“
1. Mai: Den Sicherheitskräften gelingt es, die Gewalt weitgehend einzudämmen
Henning Hoffgaard

Haß, Haß, Haß“ skandiert die linksextreme Menge. Dann gerät die Situation außer Kontrolle: Flaschen und Steine fliegen auf eingekesselte Polizisten, Detonationen erschüttern die Karl-Marx-Straße im Berliner Stadtteil Neukölln. Rauch steigt auf, unentwegt klicken die Kameras der zahlreichen Journalisten. Die Beamten versuchen die Menge zu beruhigen. Zwecklos. Jede Explosion animiert die linke Szene zu lautem Triumphgeschrei. Das sind die Bilder des nach Ansicht von Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) friedlichsten 1. Mai, den er je erlebt habe.

Über 9.000 Linksextremisten waren zuvor am späten Sonntag nachmittag in der Nähe des Kottbusser Tors in Kreuzberg aufmarschiert. Unter ihnen auch die frühere RAF-Terroristin Inge Viett, die prominent plaziert in einem Begleitfahrzeug der Demonstration mitfuhr. Schon kurz nach Demonstrationsbeginn startet der Schwarze Block mit den Krawallen. Böller fliegen, die ersten Scheiben zersplittern. Besonders schlimm erwischt es Banken und Kaufhäuser. „Schönheitsfehler“ nennt das der grüne Bundestagsabgeordnete  Hans-Christian Ströbele.

Auch ein älteres Ehepaar in der Nähe der Neuköllner Boddinstraße bekommt den Ärger der „Antifacista“ zu spüren. Ihr „Verbrechen“: Die beiden hatten unvorsichtigerweise noch einige Deutschlandflaggen auf ihrem Balkon. Prompt brüllen ihnen Hunderte wutentbrannt „Nie, nie, nie wieder Deutschland“ entgegen. Die Einsatzkräfte wirken ratlos, sind erst kaum präsent. Erst als ein Kamerawagen der Polizei attackiert wird und nur mit einem waghalsigen Manöver dem Steinhagel entkommen kann, zeigen die 7.000 eingesetzten Beamten mehr Präsenz. Die bereitstehenden Wasserwerfer werden dennoch nicht eingesetzt.

Nach dem vorzeitigen Abbruch der Demonstration ziehen die Linksradikalen vom Hermannplatz weiter Richtung „Myfest“, mit dem die Stadt seit Jahren versucht, die Gewalt einzudämmen.

Daß die linke Szene entgegen den Beteuerungen von Körting nicht weniger gewaltbereit war als im vergangenen Jahr, hatte sich schon zur Walpurgisnacht angedeutet. Allein dem Veranstaltungsort ist es zu verdanken, daß die Medien von einem „ruhigen Auftakt“ sprechen konnten. Statt auf dem Boxhagener Platz mußten die Punks und Linksextremen mit dem kleineren Wismarplatz vorliebnehmen. Hermetisch abgeriegelt, gelang es den Chaoten dort nicht, ihr volles Gewaltpotential zu entfalten. Zudem haben steigende Mieten und Zuzüge von den bei den Punkern verhaßten „Latte-Macchiato Linken“ die gewalttätige Szene viel Rückhalt im Kiez gekostet. Die Zuzügler beklatschen zwar jeden Angriff auf die Polizei, greifen aber selbst eher selten zur Flasche, zumindest an diesem Abend.

Dennoch werden die Eingreiftruppen der Polizei, die gezielt Gewalttäter herausgreifen, massiv angegriffen. Müll wird angezündet, sogar Sektflaschen fliegen. Bereits auf der eigens aufgebauten Bühne hatte ein Sänger zu Gewalt aufgerufen und gegrölt: „Ganz Berlin haßt die Polizei.“ Doch nicht nur auf Polizisten haben es die Gewalttäter abgesehen. Eine schwangere Frau und ihr Ehemann werden in der Nähe des Boxhagener Platzes brutal von zwei Punkern angegriffen und getreten, berichtet die B.Z. Dabei sollen sie der werdenden Mutter gezielt in den Bauch getreten haben. Grund des Gewaltexzesses: Die beiden hatten die Linksextremisten gebeten, nicht in den Hausflur zu urinieren. Die Punker wurden nicht festgenommen.

Auch Kurt Wansner ist am Wismarplatz. Der CDU-Politiker warnt seit Jahren vor linksextremer Gewalt in Berlin. „Arme Schweine“ nennt er die aggressiven Punker. „An denen geht das Leben doch völlig vorbei.“ Einschüchtern läßt sich der renitente 63jährige weder von Linksextremisten noch von Grünen-Politikern, die ihm für seine Aufklärung einen Hang zum „Märtyrertum“ attestierten. Auch in diesem Jahr ist er am nächsten Tag mit einem CDU-Stand auf dem „Myfest“ in der Oranienstraße präsent, verteilt Broschüren und versucht die Leute über Linksextremisten aufzuklären. Die meisten wollen davon nichts wissen, nur wenige greifen zu, wenn Wansner ihnen Flyer entgegenhält, auf denen steht: „Berlin ist die Hauptstadt des linken Terrors“. Von Drohungen und Gefährdungen läßt sich der Christdemokrat nicht abschrecken. Beleidigungen ist er gewohnt, ein anwesender Journalist tuschelt gar von „Nazi-Methoden“. Wansner wolle doch nur die Linkspartei kriminalisieren. Dem ist das egal, und am Ende bleibt alles friedlich, das ist ihm am wichtigsten. Nach einer Stunde sind alle Flugblätter verteilt und die CDU-Anhänger räumen zufrieden ihre Sachen.

Doch nicht nur in Berlin gab es am 1. Mai Ausschreitungen linksextremer Gruppen. Auch in Hamburg, Nürnberg, Bremen und anderen Städten kam es zu Angriffen auf Polizisten. Die über das ganze Land verteilten NPD-Demonstrationen und der konsequente Einsatz der Hamburger Polizei haben eine Konzentration der gewaltbereiten Linken in diesem Jahr jedoch verhindert. 2009 hatte eine solche Fokussierung der militanten Szene auf Berlin zu fast 400 verletzten Polizisten geführt. Auch ist es der gewaltbereiten Szene nicht gelungen, in größerem Maße jugendliche Ausländer zu Gewalttätigkeiten zu mobilisieren. So waren die blassen Gestalten des schwarzen Blocks in diesem Jahr auf sich allein gestellt. Schlecht koordiniert und über ganz Deutschland verteilt. Bilanz dieses „friedlichen ersten Mai“ in Berlin: 100 verletzte Polizisten, zwei mehr als im vergangenen Jahr, und 161 festgenommene Linksextremisten.

Foto: Massives Polizeiaufgebot am 1. Mai in Berlin: Schlecht koordiniert und über ganz Deutschland verteilt

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