© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die mittelalterliche Kunst Spaniens ist bevölkert von kriegerischen Heiligen. Das gilt schon für St. Martin und St. Mauritius, die römischen Offiziere, aber vor allem für St. Georg und St. Michael. Die zwei zuletzt genannten findet man in erster Linie als Drachentöter, der Ritter eher konventionell, im allgemeinen zu Pferd, das Monstrum fast mühelos erledigend, der Erzengel häufig in besonders leuchtenden Farben gemalt, mit prächtigem, buntem Gefieder; besonders eindrucksvoll sind die Darstellungen von Jaume Huguet und Juan de la Abadia, die am Ende des 15. Jahrhunderts entstanden. Dabei lassen die Bilder oft erkennen, daß mit dem Drachen weniger ein apokalyptisches Ungeheuer, eher ein gegenwärtiger Feind gemeint war, kaum verwunderlich angesichts der Reconquista gegen die Araber, die Spanien mehr als sieben Jahrhunderte besetzt hielten. Eine Parallele findet sich in der Verehrung des großen Engels und der „Reiterheiligen“ – St. Georg und St. Demetrios – auf dem Boden des alten Byzantinischen Reiches, heute vor allem noch in Griechenland, aber auch im Strahlungsfeld der russischen Orthodoxie, überall, wo es um den Abwehrkampf gegen Osmanen und Tataren ging.

Bildungsbericht in loser Folge IX: Das aktuelle Interesse am Thema Bildung berührt sympathisch, so etwa der Vorstoß des Focus angesichts des Gefälles zwischen den Abiturleistungen, die im Einzelfall verlangt werden. Was dabei irritiert, ist nur die Präsentation als neue Einsicht. Jeder konnte seit Jahrzehnten wissen, wie wenig ein „Reifezeugnis“ eines Stadtstaates oder eines anderen Bundeslandes gelten darf, das das Pech hatte, längere Zeit sozialdemokratischer (später auch grüner) Kultuspolitik ausgesetzt zu sein. Wer mehr Zentralismus – gar mit Verweis auf unsere Nachbarstaaten – für ein wirkungsvolles Gegenmittel hält, der sei nicht nur an Bildungskatastrophe und massenhafte Vergabe wertloser Abschlüsse in Frankreich und Großbritannien erinnert, sondern auch daran, daß man in Deutschland nicht einmal mehr wüßte, was ungefähr ein Abiturient können sollte, wenn nicht der Föderalismus Bayern und Baden-Württemberg erhalten und Sachsen neu geschaffen hätte.

Der Aufstieg der Kriegerheiligen ist ein Phänomen, das man zuerst in der Ostkirche beobachten konnte – da fand sich sogar das Bild des „Soldaten Christus“ mit dem Kreuz als Waffe über der Schulter –, in der Westkirche verstärkt seit den Kreuzzügen. Ursache der Verzögerung waren die inneren Widerstände des Christentums gegen jede Sakralisierung des Kampfes, von denen weder Islam noch Altes Testament wissen. Das Vorbild des miles christianus war übrigens nicht der muslimische Glaubenskämpfer, sondern der „neue Makkabäer“; den Bezugspunkt bildete die Geschichte der jüdischen Rebellen, die im 2. Jahrhundert vor Christus gegen die Herrschaft der Seleukiden Religion und Volk verteidigten. Die apokryphen Makkabäerbücher der Bibel werden heute kaum noch gelesen, im Gottesdienst spielen sie längst keine Rolle mehr. Aber wenn man die schöne, von Schinkel erbaute Kirche in Neuhardenberg betritt, geht man durch einen Vorraum, an dessen Wand zur Rechten sechs hölzerne Tafeln angebracht sind, darauf die Namen der im Zweiten Weltkrieg Gefallenen der Gemeinde, und es gibt eine Inschrift auf den Tafeln mit Text aus 1. Makkabäer: „Wenn unsre Zeit gekommen, so wollen wir ritterlich sterben für unsre Brüder und unsrer Ehre keine Schande machen.“

Anarchismus erscheint uns heute als eine Art Politikfolklore. Der Mainstream beobachtet halb amüsiert, halb irritiert die Mischung aus Punk, Sgraffiti, lässigem Umgang mit Gesetzen und jugendlichen Kraftsprüchen, die man nicht ernst nimmt, weil man meint, daß sich das ganze irgendwann auswächst. Meistens trifft diese Erwartung zu. Nur darf man nicht vergessen, daß es sich beim Anarchismus um die einzige politische Ideologie des 20. Jahrhunderts handelt, die kaum im System erprobt wurde und zu deren ausdrücklich akzeptierten Mitteln immer der politische Mord gehörte.

Von besonderer Intensität ist die St.-Georgs-Verehrung in Barcelona. Das hat schon mit dem symbolstolzen Nationalismus Kataloniens zu tun, der dem alten Patron des Landes überall Denkmäler setzt. Für die Kinder der Vorschule läßt die Regionalregierung sogar ein eigenes Bilderbuch mit Text in Catalan drucken, um ihnen die Überlieferung vertraut zu machen. Jedoch geht es da – abgesehen vom unvermeidlichen Drachenstich – eher freundlich zu. Dasselbe kann man über den katalonischen Nationalfeiertag – den St.-Georgs-Tag am 23. April – sagen, an dem die Geliebte dem Geliebten ein Buch, der Geliebte der Geliebten eine Rose schenkt. Letzteres hat zu tun mit einer galanten Interpretation jenes Teils der Legende, in der es heißt, daß aus dem Blut des Drachen Rosen sprossen und der Held eine davon der geretteten Prinzessin überreichte.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 13. Mai in der JF-Ausgabe 20/11.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen