© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Letzte Ausfahrt Druckerpresse
USA: Angesichts eines öffentlichen Schuldenstandes von 14,2 Billionen Dollar wachsen die Zweifel an der Bonität der größten Volkswirtschaft
Marco Meng

Was bislang als Wunschvorstellung notorischer Amerikahasser abgetan wurde, wird nun offiziell diskutiert: Wie lange sind die USA – angesichts eines öffentlichen Schuldenstandes von 14,2 Billionen Dollar (95,4 Prozent der Wirtschaftsleistung) – noch kreditwürdig und zahlungsfähig? So warf kürzlich der Internationale Währungsfonds Washington vor, es fehle eine glaubwürdige Strategie für die Haushaltssanierung. Die Rating-agentur Standard & Poor‘s (S&P) senkte ihren „Ausblick“ für die USA als Schuldner von „stabil“ auf „negativ“.

Wenige Tage zuvor hatte US-Finanzminister Timothy Geithner erstmals öffentlich über einen Staatsbankrott gesprochen. Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), hat sogar eingestanden, daß die finanzielle Situation in den USA irreparabel geworden ist. Bereits im November 2010 startete die Fed ihr Ankaufprogramm für US-Staatsanleihen. 600 Milliarden frische Dollar fließen damit bis Juni aus den Geldschleusen – Fortsetzung nicht ausgeschlossen. Auch die Erträge aus den US-Bonds werden wieder in Staatspapieren angelegt – das ist Staatsfinanzierung mittels Druckerpresse.

Der weltgrößte Anleihefonds, die Allianz-Tochter Pimco, hat sich schon von seinen US-Bonds getrennt und erklärte: „Die Tatsache, daß sich das Haushaltsdefizit jedes Jahr in Billionen bemißt, erhöht die umlaufende Dollarmenge, und das führt zu einer Abwertung der Währung, einer höheren importierten Inflation und einer niedrigeren Bewertung von Dollaranlagen.“ Zahlungsunfähig kann Washington zwar nicht werden, da die USA (im Gegensatz zu den Euro-Ländern) ihre Währungshoheit beibehalten haben und die Verschuldung in US-Dollar stattfindet. Und die lassen sich faktisch beliebig vermehren – im Ernstfall werden die Schulden mit Inflationsgeld bedient.

Daß der US-Staat durch teure Kriege, wachsende Sozialstaatslasten und Niedrigsteuern chronisch unterfinanziert ist, ist bekannt. Das Wachstum ist seit etwa drei Jahrzehnten durch Verschuldung zustande gekommen. Nun will man über zwölf Jahre die Defizite um vier Billionen Dollar verringern, etwa indem die Steuersätze für die hohen Einkommen ab 2013 erhöht werden sollen. Der höchste Grenzsteuersatz steigt dann von 35 auf 39,6 Prozent, wo er vor der Bush-Reform gelegen hatte. Konrad Hummler, Präsident der Vereinigung Schweizer Privatbankiers, meinte dazu, die Jagd auf ausländische Steuerschlupflöcher der Amerikaner sei daher blanke Doppelmoral: In den USA selbst existieren Offshore-Oasen „riesigen Ausmaßes“, etwa in Florida oder Delaware.

Zudem wirtschaften mindestens 46 der 50 US-Bundesstaaten defizitär. 32 US-Bundesstaaten sind nicht mehr in der Lage, die Arbeitslosengelder auszuzahlen. Das Außenhandelsdefizit beträgt 58,4 Milliarden Dollar pro Monat, ganze Industriezweige wurden in Billiglohnländer verlagert, ohne daß gleichwertige Beschäftigung aufgebaut wurde.

Die Produktivität sinkt, die Infrastruktur verfällt, Investitionen unterbleiben – und weitere Lasten drohen: nach einer Prognose des Congressional Budget Office werden sich die Staatsausgaben für das Gesundheitssystem im Verhältnis zum Volkseinkommen in den nächsten 25 Jahren verdoppeln. Pimco-Experte William Gross bezifferte in seinem jüngsten „Investment Outlook“ die ungedeckten Zahlungsverpflichtungen der US-Rentenversicherung (Social Security) auf 7,9 Billionen Dollar. In der öffentlichen Krankenversicherung für die Rentner (Medicare) seien es sogar 22,8 Billionen Dollar, in der Krankenfürsorge (Medicaid) sieht Gross sogar einen Finanzbedarf von 35,3 Billionen Dollar. Daß die US-Umweltschutzbehörde die in den nächsten 20 Jahren erforderlichen Investitionen für die Wasserversorgung auf 300 bis 500 Milliarden Dollar schätzt, wirkt angesichts dessen harmlos.

Die Zahl der registrierten Arbeitslosen (die Erhebung erfolgt per Telefonumfrage) ist trotz des globalen Aufschwungs nur leicht auf 8,8 Prozent gesunken. Zählt man die verdeckte Arbeitslosigkeit hinzu, liegt die Quote bei über 17 Prozent. Hinzu kommt, daß über 40 Prozent der US-Bürger im Niedriglohnsektor arbeiten. Zwölf Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, etwa 3,5 Millionen sind obdachlos. Das US-Agrarministerium rechnet in diesem Jahr mit 43 Millionen Empfängern von Essensmarken. All das erklärt auch die Defizite der drei steuer- und beitragsfinanzierten US-Sozialversicherungen.

Dennoch ist der Anteil der USA am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Welt noch immer der höchste: er beträgt etwa 20 Prozent. In den achtziger Jahren waren es noch 25 Prozent gewesen. In absehbarer Zeit geht der Titel „Weltgrößte Volkswirtschaft“ an China. Die US-Importe übersteigen seit drei Jahrzehnten notorisch die Exporte. Das nur krisenbedingt 2009 gesunkene Handelsbilanzdefizit ist 2010 wieder angestiegen. Die Schuldenmisere hat durch die Leitwährungsfunktion des US-Dollar eine globale Bedeutung. Etwa die Hälfte der US-Staatsanleihen ist bereits im Besitz von Ausländern. Investorenlegende Warren Buffett warnt: „Wenn Sie mich fragen, ob der US-Dollar seine Kaufkraft von 2011 in fünf, zehn oder 20 Jahren noch haben wird, würde ich sagen: Wird er nicht.“

Die Debatte, ob der US-Dollar Reserve- und Leitwährung bleibt, hält an. Die aufstrebenden Schwellenländer wollen verstärkt ihre eigenen Währungen beim Handel untereinander einsetzen. Speziell China versucht, seine immer wertloser werdenden Dollarbestände (darunter Staatsanleihen im Wert von 1,2 Billionen Dollar) hektisch in reale Werte wie Firmenbeteiligungen, Rohstoffe und Energieträger umzutauschen. Der chinesische Staatsfonds CIC soll dafür mit zusätzlichen 100 bis 200 Milliarden Dollar ausgestattet werden, weitere Staatsfonds sind geplant – sie werden mit ihren Dollarbergen auch wieder in Europa auf Einkaufstour gehen.

Foto: Dollar- statt Warenexport: Der Schuldenweltmeister USA lebt seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse

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