© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Diebesparadies Deutschland
EU: Ausländische Kupferbanden machen selbst vor Friedhöfen nicht halt / Geringe Aufklärungsquoten
Paul Leonhard

Die Kriminellen dürften geflucht haben. Erst als sie bereits arbeitsteilig mehrere Meter Fallrohr abgebaut hatten, bemerkten sie ihren Irrtum: Es handelte sich nicht um Kupferrohr, sondern lediglich um kupferfarbene Plasterohre. Überall im deutschen Grenzgebiet zu Polen und der Tschechei werden Kupferteile wenn irgend möglich durch Plaste ersetzt.

So etwa am Amtsgericht der ostsächsischen Stadt Zittau, an dem mindestens dreimal Diebe Dachrinnen abmontierten. Einen Gesamtschaden von mittlerweile mehr als 15.000 Euro hat auch das zwischen Zittau und Görlitz unmittelbar am Grenzfluß Neiße gelegene Kloster St. Marienthal gemeldet. In Zittau verschwand eine Trommel mit 500 Metern Kupferkabel vom Hof der Stadtwerke. Von Friedhöfen werden Kupferschalen und Kreuze gestohlen. Kinderspielplätze werden geplündert. In Görlitz verschwanden Brunnenfiguren.

Die Diebstähle sind kein Phänomen des Grenzgebietes. Alle Bundesländer melden deutlich steigende Fallzahlen. Deutschlandweit hat der auf fünf Euro pro Kilo gestiegene Kupferpreis Kriminalität ausgelöst. Allein Mecklenburg-Vorpommern hat im vorigen Jahr einen Anstieg der Buntmetalldiebstähle um 480 Prozent gemeldet. Die Deutsche Bahn beklagt Millionenschäden durch illegalen Abbau kupferner Sicherheitsanlagen und Leitungen. Die Sanierung der Bahnstrecke Berlin-Cottbus wurde durch Metalldiebe um sechs Wochen verzögert. Die Lokalzeitungen melden allerorts Diebstähle. Mitunter fahren die Kriminellen mit Lastwagen vor und verladen ihre tonnenschwere Beute.

Was die Situation im Grenzgebiet besonders eskalieren läßt, ist die Häufigkeit der Diebstähle und die Armut in der Region. Hier werden auch kleinste Mengen Schrott gestohlen: Oft steht der angerichtete Sachschaden in keinem Verhältnis zum Wert des Gestohlenen.

Die Polizei müht sich redlich, der zunehmenden Grenzkriminalität Herr zu werden. So wurden am 22. März bei einem Großeinsatz an der deutsch-polnischen Grenze in Brandenburg acht gestohlene Fahrzeuge und 300 Kilo Kupfer sichergestellt. In Altenberg konnte die Polizei Ende Januar ein tschechisches Pärchen festnehmen, das in verschiedenen Orten des Erzgebirges und der Sächsischen Schweiz Kupferrohre gestohlen hatte. Im Škoda des Paares befand sich fast ein Zentner Kupfer.

Insgesamt bleibt die Aufklärungsrate aber gering. Ohnehin werden selbst gefaßte Kriminelle nach Aufnahme der Personalien wieder laufen gelassen. Um den immer besser organisierten Banden in Sachsen das Handwerk zu legen, hat die Polizei eigens eine Sonderkommission „Metall“ gegründet. Der Schwerpunkt soll künftig vor allem auf die ostsächsische Grenzregion gelegt werden. Hier stiegen nicht nur die Buntmetalldiebstähle dramatisch an: Elf Prozent mehr Straftaten in den Gemeinden an der Grenze zu Polen gab es 2010 gegenüber dem Vorjahr.

In den 24 Grenzgemeinden Brandenburgs wurden mehr als 10.500 Diebstähle registriert. Von einer „dramatischen Kriminalitätsentwicklung an der Grenze“ spricht Sven Petke, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Brandenburg. Alle politischen Zusicherungen, die Grenzkriminalität sei beherrschbar, hätten sich als falsch herausgestellt. In Sachsen sind ähnliche Töne zu hören. Allerdings nicht von der regierenden CDU, sondern von der SPD-Opposition. Keine der sogenannten Volksparteien ist bereit, konsequent gegen die seit 2007 rasant angestiegene Grenzkriminalität vorzugehen.

Denn das würde bedeuten, die Kontrollen auf den Grenzbrücken wieder einzuführen, wie es die Bewohner der Region mehrheitlich fordern. Statt dessen wollen sowohl das schwarz-gelb regierte Sachsen als auch das rot-rote Brandenburg die Landespolizei ausdünnen. In Sachsen, wo in den nächsten zehn Jahren mehr als 3.200 Polizeistellen abgebaut werden, verteidigt Innenminister Markus Ulbig (CDU) diese Pläne und empfiehlt den Grenzanwohnern, Wanderwege nach Tschechien mit Steinen gegen Autodiebe zu sichern. Allerdings hatte die Bundespolizei erst zwischen 2008 und 2010 an vielen Orten derartige Grenzsperren abgebaut, weil die Politik „offene Grenzen“ forderte.

Die Ratschläge des Innenministers erstaunen die Dorfbürgermeister: „Damit löst man doch das Kriminalitätsproblem nicht“, sagt Wolfgang Müller, Hauptamtsleiter von Seifhennersdorf. Alarm schlagen auch die Handwerkskammern Dresden und Cottbus. Angesichts der wachsenden Anzahl von Diebstählen auf Baustellen und Betriebsgeländen sei das „Sicherheitsgefühl der Unternehmer erschüttert“, sagt Claus Dittrich, Präsident der Handwerkskammer Dresden.

Nur 10,5 Prozent der Baustellendiebstähle hätten 2010 ausgeklärt werden können, weiß Peter Dreißig, Präsident der Handwerkskammer Cottbus. Sorgen bereiten den Firmen auch die vielen Kfz-Diebstähle. Hier sind die Fahndungserfolge von knapp 40 Prozent 2009 auf 17,1 Prozent 2010 gesunken. Mehr als 2000 Fahrzeuge wurden allein im erten Halbjahr 2010 im Kammerbezirk Dresden gestohlen. Inzwischen machen die Betroffenen mobil. Die Bild-Zeitung stellte Mitte März die Bürgerwehr des an der polnischen Grenze gelegenen Oberlausitz-Städtchens Ostritz vor. „Uns bleibt keine andere Wahl mehr“, zitierte sie Hotelier Hartmut Ehrentraut: „Seit Januar ist kein Tag vergangen, an dem nicht Kupferdiebe in unserer Stadt waren.“ Allein bei Ehrentraut wurde sechsmal eingebrochen. „Die Situation ist dramatisch eskaliert“, sagt Zittaus Oberbürgermeister Arnd Vogt.

Die Polizei fordert gesetzliche Sanktionen gegen Schrotthändler jenseits der Grenze. Denn das gestohlene Gut verschwindet meist nach Osteuropa. Dort sind nicht nur die Aufkaufpreise höher, es schert sich auch niemand um Personen- und Herkunftsnachweis. Inzwischen wurden auch die schon existierenden Sonderkommissionen der ostsächsischen Polizei um eine weitere ergänzt. Die gemeinsame Ermittlungsgruppe aus Landeskriminalamt, Zoll und Bundespolizei soll den Metalldieben zu Leibe rücken. Auf dem Tisch der Beamten liegen allein hundert Fälle aus dem Landkreis Görlitz.

Foto: Kupfer ist nur ein Objekt der kriminellen Begierde: Dramatische Kriminalitätsentwicklung entlang der deutschen Ostgrenzen

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