© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

„Tod den Alawiten!“ und „Christen raus!“
Syrien: Das Mißtrauen zwischen den religiösen Gruppen sitzt tief / Muslimbrüder attackieren alawitisches Herrscherhaus
Günther Deschner

Ende Januar, als in Tunesien Ben Ali bereits geflohen war und Ägyptens Präsident Mubarak seine Kamelreiter auf die ersten Demonstranten hetzte, sprach Syriens Präsident Baschar al-Assad mit dem Wall Street Journal über die Ereignisse im arabischen Raum und die Gefahr eines Aufstands im eigenen Land. „Wir leben in schwierigeren Umständen als die meisten arabischen Länder“, sagte er, „und trotzdem ist Syrien stabil.“

Das ist inzwischen Zeitgeschichte: Heute präsentiert sich die Lage brutal anders. Assad sieht sich nun ebenfalls  Unruhen gegenüber. Was Mitte März in Daraa als Funke begann, hat sich zu einem landesweiten Flächenbrand ausgeweitet. Wenn kein Wunder geschieht, wird auch in Syrien die Lage in Richtung Bürgerkrieg und Intervention eskalieren. Allerdings ist die Situation auch in Syrien komplexer als das unvollständige Schwarzweißbild eines Ringens zwischen „Freiheit und Diktatur“.

Tatsächlich sind Volk, Präsident und Regierung (auch) in Syrien nicht in harmonischem Einklang: Die soziale Schere klafft weit auseinander; ein Drittel der Syrer lebt von zwei Dollar pro Tag. Von der durch Assads Reformen ermöglichten Marktwirtschaft profitieren nicht die gebeutelten „Normalverbraucher“, sondern Unternehmer aus dem sunnitischen Großbürgertum und eine kleine Clique einflußreicher Nutznießer des Systems.

Für eine Konstante seiner Außenpolitik, die unnachgiebige Haltung gegenüber Israel, findet Assad zwar breite Unterstützung. Doch innenpolitisch ist Syrien tief zerklüftet, die Angst vor inneren Konflikten ist in dem multireligiösen Land mit seiner arabisch-sunnitischen Mehrheitsbevölkerung und großen alawitischen, kurdischen und christlichen Minderheiten weitverbreitet, das Auseinanderbrechen der syrischen Gesellschaft entlang religiöser Grenzlinien ist ein oft beschworenes Szenario. Der das Herrschaftsgefüge Syriens seit vier Jahrzehnten bestimmende Assad-Clan, der der Minderheit der Alawiten angehört und dort auch seine zuverlässigste Stütze hat, ist davon überzeugt, nur ein autoritäres Regime könne Garant für die Stabilität des syrischen Staates sein.

In der Tat ist das Mißtrauen zwischen den religiösen Gruppen tief. Hinter den Ereignissen in Daraa, Homs oder Lattakia sehen die regimetreuen Medien „Salafisten“ – radikale Sunniten, die als Teil einer „ausländischen Verschwörung“ (gemeint ist Saudi-Arabien!) agieren. Vom „Westen“ wird dies ebenso als Propaganda abgetan wie die Berichte von Augenzeugen, daß in Daraa Parolen wie „Tod den Alawiten!“ und „Christen raus!‘‘ gerufen worden seien.

Daß aber in Teilen der Protestbewegung tatsächlich religiöse Ressentiments eine Rolle spielen, hat jetzt Joshua Landis, Direktor eines US-Instituts für Nahoststudien, nachgewiesen, als er den Administrator der „Syrian Revolution 2011 Facebook Page“, der wichtigsten Verteilerin von Infos über den Aufstand in Syrien, als einen aktiven Muslimbruder enttarnte: Auf seiner eigenen Facebook-Seite zeigt sich Fida ad-Din Tarif as-Sayyid Isa als Hardcore-Islamist, der auch Morddrohungen ins Netz stellt. Zitat: „An die syrischen Alawiten … Eure Kinder werden einen hohen Preis bezahlen – von jetzt an bis in alle Ewigkeit!“

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