© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Adieu, Wirtschaftskrise
Konjunkturprognose: Deutschlands Industrie brummt – auch dank der vielbeschworenen Binnennachfrage
Hans Christians

Die Naturkatastrophe von Japan hat verhindert, daß die schwarz-gelbe Bundesregierung zu Hause punkten konnte. Selten ist die Verkündung einer Konjunkturprognose eines Wirtschaftsministers so „untergegangen“ wie die von Rainer Brüderle (FDP) Mitte April. Dabei hatte der zuvor arg gescholtene Liberale doch zahlreiche positive Dinge zu verkünden.

Überraschend dabei: Die aktuelle Stärke verdankt die bundesdeutsche Wirtschaft nicht wie jahrzehntelang zuvor alleine dem Export. Brüderle erhöhte seine Wachstumsprognose für 2011 um 0,3 Prozentpunkte auf 2,6 Prozent. Für das kommende Jahr kalkuliert er mit einer Abflachung des Wachstums auf 1,8 Prozent.

Die stärksten Impulse kämen von der Binnennachfrage. Ihr Wachstumsbeitrag werde auf über 80 Prozent steigen. „Der Aufschwung in Deutschland steht auf einem breiten Fundament“, erklärte Brüderle. Und die persönliche Osterbotschaft des FDP-Mannes: Der Aufschwung sei „wie ein guter Osterzopf. Je länger er geht, desto breiter wird er.“

Ursprünglich hatte das Ministerium in seinem Jahreswirtschaftsbericht 2011 nur mit 2,3 Prozent Wachstum gerechnet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prognostiziert für 2011 ebenfalls ein Wachstum des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts von 2,7 Prozent. „Der Aufschwung büßt zwar an Schwung ein, steht aber auf einer soliden Grundlage“, erklärt der Leiter der Konjunkturpolitik beim DIW Ferdinand Fichtner.

Anders als in der Vergangenheit trägt aktuell die inländische Nachfrage immer mehr zum Wachstum bei. Aus diesem Grund werde sich die Investitionstätigkeit in dem immer noch günstigen Zinsumfeld sehr dynamisch entwickeln.

Das DIW warnte allerdings vor einem Anstieg der Inflation. Seit Februar liegt die Teuerung nach über zwei Jahren wieder oberhalb der Zwei-Prozent-Marke. Auch für den Jahresdurchschnitt 2011 und für das nächste Jahr rechnen die Experten mit Raten von über zwei Prozent. Die Inflationsrisiken aus den Lohnverhandlungen seien derzeit aber gering.

„Die Tarifabschlüsse waren bislang moderat, so daß kein relevanter Preisdruck auf der Lohnseite entstanden ist. Eine Lohn-Preis-Spirale ist damit bislang nicht in Sicht“, so DIW-Kuratoriumsvorsitzender Bert Rürup. Für 2012 sei dieses Risiko dagegen größer. Dank der kräftigen Produktions- und damit Produktivitätszuwächse seien Lohnsteigerungen von bis zu drei Prozent für die Unternehmen aber gut zu verkraften.

Auch im Hinblick auf die Arbeitslosenzahlen konnten die Experten in den vergangenen Tagen Positives vermelden. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt laut der Prognose der führenden deutschen Wirtschaftsinstitute im Jahresschnitt auf 2,88 Millionen, das entspricht einer Quote von 6,9 Prozent. Damit unterbieten die Institute deutlich frühere Schätzungen – etwa des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das mit 2,93 Millionen Arbeitslosen im Schnitt rechnet. 

Zugleich wird die Beschäftigung in Deutschland weiter zunehmen, wenn auch mit geringerem Tempo. Für das laufende Jahr rechnen die Institute mit einem Plus von 430.000 Erwerbstätigen, im nächsten Jahr mit einem Anstieg um 275.000. Die Auswirkungen der Naturkatastrophe in Japan auf die Weltwirtschaft würden „voraussichtlich nur kurzzeitig spürbar sein“, heißt es in dem Frühjahrsgutachten.

Würde sich aber das Öl verknappen wegen der Aufstände in Arabien oder sich die europäische Schuldenkrise zuspitzen, könnte dies die deutsche Wirtschaft belasten. Die Forscher empfehlen, das Haushaltsdefizit abzubauen und verlangen Nachbesserungen beim europäischen Stabilisierungsmechanismus.

Innerhalb der Europäischen Union ist eine geradezu groteske Situation entstanden. Während in Deutschland die Wirtschaft boomt, kämpfen andere Mitgliedsstaaten ums nackte Überleben.  Marco Bagel, Chefvolkswirt der Postbank erklärt: „Die Strahlkraft von ‘Made in Germany’ ist weltweit ungebrochen. Wichtige Absatzmärkte wie China und Indien hatten zwar auch ihre Wachstumsdellen, aber die Unternehmen dort haben weiter kräftig Maschinen und Großanlagen bestellt. Und: Die aufstrebende Mittelschicht in den Schwellenländern hat weiter deutsche Autos von Audi, BMW oder Mercedes gekauft.“

Gerade die Automobilindustrie ist nach wie vor ein Exportschlager, vor allem in Wachstumsmärkten wie China. Insgesamt stiegen die Pkw-Verkäufe in China in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres um 12 Prozent auf 3,1 Millionen Fahrzeuge. Die deutschen Konzernmarken hingegen erhöhten ihren Absatz um 30 Prozent auf gut 637.800 Neuwagen. Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) sagt: „Die deutschen Autohersteller fahren in China weiter auf der Überholspur. Sie haben ein starkes erstes Quartal hingelegt. Bei allen deutschen Konzernmarken, die in China aktiv sind, waren die Zuwächse im ersten Quartal deutlich zweistellig.“

Postbank-Experte Bagel dämpft die Euphorie dennoch ein wenig: „Letztlich dürfen wir nicht vergessen, daß es sich auch um eine Angleichung an das Niveau vor der Krise handelt. Die Finanzkrise hatte unsere Wirtschaft 2009 schwer getroffen. Statt Wachstum gab es bei der Gesamt-Wirtschaftsleistung ein Minus von 4,7 Prozent.“

Daß es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Staaten aufwärtsgeht, hängt nach Expertenmeinung auch mit der Lohnzurückhaltung zusammen. In der Stunde der Krise hätten Arbeitnehmer und Gewerkschaften verantwortungsvoll gehandelt. Zudem sei in der Bundesrepublik – anders als in den Vereinigten Staaten – eine Bereitschaft zur Schuldenreduzierung vorhanden. 

Nicht nur in der Großindustrie, sondern auch beim Mittelstand herrscht derweil Zufriedenheit. Bei einer Umfrage des Inkasso-Unternehmens Creditreform vermeldete jedes dritte befragte Unternehmen, daß die Zahl der Aufträge seit Herbst zugelegt hatte. Nur knapp 15 Prozent der Firmen mußten Auftragsrückgänge hinnehmen. Ein Drittel der Unternehmen berichtete außerdem von steigenden Umsätzen; nur ein Fünftel beklagt ein Umsatzminus. In gut der Hälfte der 4.300 befragten Firmen laufen die Geschäfte „gut“ oder sogar „sehr gut“; im Vorjahr konnte so positive Dinge nur ein gutes Drittel der Befragten berichten.

Foto: Mit dem deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht es aufwärts: Dank wachsender Nachfrage nach deutschen Produkten im In- und Ausland steigt das BIP auf das Niveau vor der Krise – und darüber hinaus

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