© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

Überleben als Programm
Kindheit im Königsberg der Nachkriegszeit
Gerd Meyer-Schulze

Von der Welt vergessen“ lautet der Titel des stark autobiographisch geprägten Romans von Hans-Joachim Kroschewsky, der seit Ende letzten Jahres auf dem Markt ist. Rund 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges werden Zeitzeugen der Ereignisse, die etwas Neues anzubieten haben, rar. Das gilt auch für die unmittelbare Nachkriegszeit. Dem Buch ist auf Schritt und Tritt anzumerken, daß der Autor hier Selbsterlebtes aufgeschrieben hat.

Kroschewsky schildert die Kinder- und Jugendzeit des zehnjährigen Achim 1947/48 im ostpreußischen Königsberg. Getrennt vom Vater, versucht er zusammen mit seiner Mutter zu überleben. Bezahlte Arbeit gibt es nicht. Die meisten „wurschteln“ sich durch – auf dem Schwarzmarkt. Mutter Frieda handelt mit Zigaretten. Vom Erlös kauft sie das Lebensnotwendige. Das ist illegal und damit angreifbar. Bei einer Razzia verhaftet sie die Sowjetmiliz. Das führt zu einer Verurteilung von fünf Jahren Zwangsarbeit. Nun ist der Junge allein. Die in Königsberg verbliebenen deutschen Kinder haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam zu überleben. Sie sammeln und stehlen, erleben Gewalt, Entbehrung. Unser Protagonist spielt dabei die Führungsrolle. Mit Cleverneß und Spürsinn erschließt er sich und den Seinen Einkommensquellen und schlägt sogar der sowjetischen Miliz ein Schnippchen. Von seiner Tatkraft und Entschlossenheit profitieren die anderen. Längst nicht alle Deutschen halten zusammen. Neid und Mißgunst richten sich gegen die Schwächsten. Aber auch hier bleibt Achim Sieger.

Parallel zu diesem Handlungsstrang werden die Erlebnisse der Mutter geschildert. Schon auf dem Transport nach Sibirien sterben die ersten Frauen an Hunger, Kälte und Entbehrungen. Diese Schreckensszenen wiederholen sich. „So weit die Füße tragen“ von Josef Martin Bauer berichtet von ähnlichen Szenen. So sind die Erlebnisse des Jungen in Königsberg die spannenderen Teile des Buches. Anders als das Schicksal vieler deutscher Vertriebener, die ermordet wurden oder verhungerten, gibt es hier jedoch ein glückliches Wiedersehen. Mutter Frieda trifft 1954 in der DDR bei ihrer Familie ein. Fast neun Jahre nach Kriegsende.

Hans-Joachim Kroschewsky: Von der Welt vergessen. Wagner Verlag, Gelnhausen 2010, broschiert, 324 Seiten,         15,90 Euro

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