© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

Vorbehalt gegenüber dem Politischen
Tendenzwende einer konservativen Elite: Zum Tod des Publizisten Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Karlheinz Weissmann

Zu den größten Erfolgen eines Intellektuellen gehört, einen Begriff zu prägen. Gerd-Klaus Kaltenbrunner ist das gelungen, mit der „Tendenzwende“. Der Erfolg war festzustellen an dem Tempo, in dem das Wort Mitte der siebziger Jahre Gemeingut wurde, Thema eines Kongresses der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Gegenstand aller möglichen Aufsätze und Zeitungsartikel, Fernsehsendungen und Podiumsdiskussionen.

„Tendenzwende“ brachte eine atmosphärische Veränderung auf den Begriff, Folge der Ernüchterung angesichts des Scheiterns der linken Utopie, dem Aufflammen des Terrorismus, der Ölkrise, dem Einbruch des Wirtschaftswachstums. Wenn Kaltenbrunner damals in einem Aufsatz schrieb: „Wer heute die Begriffe besetzt, übt morgen die Macht aus“, dann war das auch mit der Hoffnung verknüpft, an solcher Vorbereitung eines Politikwechsels aktiv beteiligt zu sein. Aber weder die „Wende“ von 1982 noch die „Wende“ von 1989 erfüllte seine Erwartungen. Schon die nach der Regierungsübernahme Helmut Kohls genährte Hoffnung auf eine „geistig-moralische Wende“ hat Kaltenbrunner nicht mehr ernst genommen.

Das war auch das Ergebnis einer Desillusionierung, die dazu führte, daß der „Superstar der Konservativen“ (Claus Leggewie), als der Kaltenbrunner apostrophiert wurde, schließlich den Weg in die Einsamkeit wählte und eine radikale Abkehr von der Politik vollzog. Am Anfang stand dagegen die begründete Annahme, daß nach einem Jahrzehnt, in dem „Genosse Trend“ die Entwicklung der Bundesrepublik bestimmt hatte, die „Tendenzwende“ der intellektuellen Rechten jenen Einfluß verschaffen würde, den bis dahin die Linke ausgeübt hatte.

Kaltenbrunner, der 1939 in Wien geboren war, an der Universität seiner Heimatstadt Philosophie, Rechts- und Staatswissenschaften studiert hatte, übersiedelte schon 1962 nach Westdeutschland und trat anfangs nur als Kenner der Geistesgeschichte hervor. Seine Texte ließen dabei noch keine prononcierte Stellungnahme erkennen. Das änderte sich deutlich unter dem Eindruck von „68“, vor allem nachdem er das Lektorat des Freiburger Verlags Rombach übernommen hatte. Kaltenbrunner betreute das Gesamtprogramm und gründete die Reihe „Rombach Hochschul-Paperback“, die in rascher Folge Bücher von profilierten konservativen Autoren wie Robert Hepp, Hanno Kesting, Hermann Lübbe, Armin Mohler, Günter Rohrmoser und Hans Sedlmayr veröffentlichte. Kaltenbrunner selbst gab zwei große Sammelwerke mit Manifestcharakter heraus: „Rekonstruktion des Konservatismus“ (1972) und „Konservatismus international“ (1973), an denen die Elite der rechten Intelligenz mitarbeitete.

Trotz des unbestreitbaren Erfolgs kam es schon 1972 zum Zerwürfnis zwischen Kaltenbrunner und der Verlagsleitung, nachdem sich herausgestellt hatte, daß Hochschullehrer mit Boykott drohten, falls Kaltenbrunner auf seinem Posten blieb. Das Konzept eines „Anti-Suhrkamp“ scheint auch finanziell nicht aufgegangen zu sein. Kaltenbrunner wechselte jedenfalls zu Herder, wo man ihm den Aufbau der Herderbücherei Initiative übertrug. Die Resonanz war groß, schon aufgrund der Bedeutung des wichtigsten katholischen Verlags mit eigenen Buchhandlungen in allen größeren Städten. Tatsächlich gelang es Kaltenbrunner, die Taschenbuchreihe seit 1974 durch kenntnisreiche Einführungen, das Spektrum der Mitarbeiter, die großen Essays, den Wiederabdruck entlegener Quellentexte und ausführliche Bibliographien zu einem konservativen Organ ersten Ranges zu machen. 1986 erhielt er für sein Gesamtwerk den Konrad-Adenauer-Preis für Literatur der Deutschland-Stiftung.

Kaltenbrunners Stärke war die Integration eines im übrigen sehr bunten „nicht-linken“ Lagers, das nur einig war im Kampf gegen den „neuen Irrationalismus“ und das Konzept der „Systemüberwindung“. Allerdings ließen sich die Bruchlinien zwischen Traditionell-Bürgerlichen, verschreckten Liberalen und Sozialdemokraten, undogmatischen Rechten und Konservativen auf die Dauer nicht verdecken. Mochte selbst der Gegner Anerkennung zollen – ein „produktives Ärgernis“ nannte Hermann Glaser die Initiative –, war doch unverkennbar, daß sich kein vollständiger Sieg erringen ließ, daß der Kampf um die kulturelle Hegemonie letztlich zugunsten der Gegenseite entschieden wurde.

Kaltenbrunner hat darauf mit einer sukzessiven Abwendung vom ideologischen Feld reagiert. Die deutete sich schon an bei der Themenwahl für die letzten fünfundzwanzig Bände der Initiative, und dann – nach deren Einstellung – an den Texten, die Kaltenbrunner Anfang der achtziger Jahre für die Zeitschrift Mut schrieb. Deren Wechsel vom nationalradikalen ins konservative Lager hatte Kaltenbrunner ganz wesentlich begleitet und hier ein neues Forum gefunden; daneben standen ihm Zeitungen wie die FAZ, der Rheinische Merkur, oder die Welt sowie einige weitere konservative Publikationen (in erster Linie Criticón und Zeitbühne) zur Verfügung, darunter auch die JUNGE FREIHEIT. In der JF rezensierte er zuletzt im Januar 2008 zwei Bücher.

Allerdings verengte sich das Spektrum zusehends. Trotzdem war die Enttäuschung nicht der einzige Grund für den Rückzug. Er selbst hatte schon 1986 die Frage nach seinem Hauptcharakterzug beantwortet mit dem Hinweis auf „Konservativer Ästhetizismus, Skepsis und Sinn für alles Wunderbare“.

Der in dieser Formulierung zum Ausdruck kommende Vorbehalt gegenüber dem Politischen fand deutlichen Ausdruck zuerst in der dreibändigen Sammlung mit den Porträts abendländischer Denker, die zwischen 1981 und 1985 unter dem Titel „Europa“ erschien, aber erst recht in den beiden Büchern, die Kaltenbrunner danach noch veröffentlichte, und die den legendären Priesterkönig Johannes („Johannes ist sein Name. Priesterkönig, Gralshüter, Traumgestalt“, 1993) sowie Dionysius Areopagita („Dionysius vom Areopag. Das Unergründliche, die Engel und das Eine“, 1996) behandelten.

In „Johannes ist sein Name“ legte Kaltenbrunner ein Bekenntnis zum „Traditionalismus“ ab, zwar nicht dem heidnischer Observanz, der mit dem Namen Evolas verbunden ist, aber doch einer antigeschichtlichen Weltanschauung, die „von oben“ ausgeht. Stärker als seine österreichische Herkunft und die familiäre Prägung dürfte diese Konzeption auch seine Hinwendung zu einer besonderen Art von Fundamentalkatholizismus erklären – dem „Sedisvakantismus“ –, der die Kirche seit dem Tod Pius XII. im Zustand der Führungslosigkeit sieht und keinem Nachfolger Legitimität zuspricht. Trost fand Kaltenbrunner in seinen letzten Jahren offenbar nur noch in einer christlich gestimmten Mystik.

Am 12. April verstarb Gerd-Klaus Kaltenbrunner in Lörrach. Nach einer Trauerfeier am Dienstag dieser Woche in Sitzenkirch wird die Beisetzung im Familiengrab in Wien stattfinden. Mag ihm vergönnt sein, was er mit den Worten der „Sieben Heiligen Zufluchten“ erhofft hat: daß er versammelt werde unter die, die „am Throne Gottes unsere Fürbitter“ sind.

Fotos: In Kandern, einer Kleinstadt am Fuße des Schwarzwald, lebte Gerd-Kaltenbrunner von der Welt abgewandt: Weg in die Einsamkeit; Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1989): Christlich gestimmte Mystik

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