© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

Schutzheiliger der Autodidakten
Überaltert: Das 12. Symposium der Freunde der Brüder Friedrich Georg und Ernst Jünger
Sebastian Hennig

Das Werk Ernst Jüngers stiftete für Generationen von deutschen Männern ein Fernstudium abendländischer Humanität, basierend auf den Lehrbriefen seiner Bücher. Das war und ist bei Ermangelung von lebendigen Lehrern und Vätern von unschätzbarer Bedeutung. Seine Schriften sind ein gleichermaßen liebenswürdiges wie schonungsloses Exerzitium, durch das der Leser zum Aufbruch auf dem eigenen Weg verwiesen und gerüstet wird. Der 1895 in Heidelberg geborene und erst im Alter von 102 Jahren verstorbene Ernst Jünger ist der wichtigste Autor des zwanzigsten Jahrhunderts, der dem nihilistischen Sog des Zeitgeistes dauerhaft widerstanden hat, und, noch wichtiger, damit anderen widerstehen hilft.

Stefan George, unbestritten der bedeutendere Dichter, reichte mit seinem Erziehungswerk nur bis an den Untergang der alten Welt. Jünger geht in der Folge seines jüngeren Lebenslaufes darüber hinaus und tritt in den Höllenkreis der modernen Welt ein. In einer seiner letzten Gesprächsäußerungen stellt der über Hundertjährige fest, daß es nicht mehr einer elitären, sondern einer solitären Position bedarf. Er ist der Schutzheilige der Autodidakten. Zu solchen sind die geistigen Menschen ja zwangsläufig geworden im Verlauf der Erniedrigung der hohen Schule und des Aufstieges des Technikums zur Akademie.

Das diesjährige Symposium des Freundeskreises der Brüder Friedrich Georg und Ernst Jünger stand wie schon im vorangegangenen Jahr noch einmal unter dem Motto „Krieg und Frieden“. Der Eröffnungsvortrag des Berliner Althistorikers Alexander Demandt über „Krieg bei Thukydides“ schlug einem anmutigen Bogen von der ersten Schilderung des Krieges als dem Gewaltlehrer, des demokratischen Demokratieexportes und der Radikalisierung militärischer Auseinandersetzungen während des Peloponnesischen Krieges, zum Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts. Was sich äußerlich als humanistische Gelehrtenabschweifung tarnte, eröffnete subtil und elegant die Bedeutung des Jüngerschen Werkes für unsere Epoche. Die Vernichtung des attischen Heeres in der Sizilischen Expedition zeitigte tödliche Zwangsarbeit für die Unterlegenen, wie nach der Niederlage bei Stalingrad. Der Tod des Perikles im zweiten Kriegsjahr, regte an zu dem Gedankenspiel, daß bei gleichem Kriegsverlauf, ein möglicher Tod Hitlers im Jahr 1941 wohl ebenso als Erklärung für die deutsche Niederlage herangezogen worden wäre.

Der Herausgeber des „Kriegstagebuch 1914–1918“, Helmuth Kiesel, referierte am Sonnabendmorgen über die Begleitumstände der Edition und die Rezeption der Ausgabe. Das anfängliche Mißtrauen Lieselotte Jüngers in seine Herausgeberschaft fand ebenso Erwähnung, wie die unnachgiebige Beanstandungen des Jünger-Bibliographen Horst Mühleisen. Der Beginn eines Umschwunges des Jüngerbildes der großen deutschen Tageszeitungen wurde konstatiert. Über den Bericht der Bild-Zeitung meint Kiesel: „Hier waren Könner und Kenner am Werk.“ Ein tagespolitischer Beitrag der FAZ, in dem die deutsche Position zum Angriff auf Libyen verteidigt wird, darf neuerdings mit einem Zitat von Ernst Jünger beginnen. Der Verkaufserfolg des Bandes übertraf um ein Vielfaches die Erwartungen des Verlegers.

Der französische Germanist und Jünger-Übersetzer Francois Ponçet, der immer wieder auf den Krieg als den Vater, zumindest von Jüngers Landschaftserleben hinweist, brachte neue Einsichten in diese extremste Zuspitzung des Lebens. Er verwies auf die Granattrichter als eine Analogie zu der Hohlform von Dantes Inferno. Die Diskussion brachte Übereinstimmung darin, daß wir am Anfang einer Wandlung stehen, von der wir selbst so stark geprägt werden, daß wir sie nicht als Betrachter zu überschauen vermögen.

Wojciech Kunicki, Germanist aus Breslau, vertiefte die Beziehung zwischen der literarischen Romantik und Jüngers Visualisierung des Krieges. Er ließ nebenbei durchblicken, daß die Ernst-Jünger-Rezeption in den slawischen Ländern sich viel dynamischer entwickelt hätte, wenn er die Antwort auf seinen 1986 an Jünger gerichteten Brief damals erhalten hätte. Er fand das retournierte Kuvert neunzehn Jahre später in Marbach: Adressiert nach „Breslau – DDR“.

Martin Tielke, Bibliothekar aus Friesland und Autor eines großartigen Buches über Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich („Der stille Bürgerkrieg“, Berlin 2007), betrachtete das Schicksal des Sohnes Ernstel, dessen Fäden im Norden geknüpft wurden und das sich im Süden erfüllte. Der Beitrag des kurzfristig erkrankten Sandro Gorgone wurde durch Georg Knapp verlesen.

Eine würdige Pointe erhielt das Symposium in einer, wohl etwas zu weitschweifig geratenen, aber in der Aussage sehr präzisen Betrachtung von Jan Robert Weber. Er wies den Vorwurf der literarischen Frivolität der Reiseberichte zurück und deutete die Idyllik neben den Massengräbern als eine durchaus heroische Abwehr der totalen Entleerung der Existenz. „Die Farben der Blumen dürfen nicht verbleichen und sei es ein Handbreit neben dem Abgrund.“ Denn die Hinwendung zu den farbigen Wundern des Lebens bedeutet nicht Gleichgültigkeit am fremden Leiden, sondern die Bekräftigung und Stärkung eben jenes Lebens, das in anderem Zusammenhang geschunden wurde. Besonders hoffnungsfroh stimmte die Tatsache, daß dieser Beitrag von einem jüngeren Referenten kam. Denn von den gut hundert angekündigten Teilnehmern am Symposium blieb ein reichliches Dutzend abwesend. Die Reihe ihrer Namenskärtchen auf dem Tisch kündete von den Breschen, die das Alter in die Freundeskreise schlägt.

Kongenial war der Beitrag der Bildenden Kunst des gebürtigen Deutschböhmen Moritz Baumgartl. Jünger hätte seine Freude gehabt an den in so präziser wie lebendiger Linienkunst geätzten Geheimnissen um Krokodil-Vermesser und Krebs-Wärter und den in zarten Tuschestrichen vorgetragenen Uniformierten vor dem Betonkoloß aus dessen Decke Palmenblätter hervortreiben.

Die abendliche belletristische Lesung Albert von Schirndings aus seinem Roman „Vorläufige Ankunft“ (Langewiesche Verlag, Ebenhausen 2010) bescherte dagegen keine eindringlichen Bilder. Seine Prosa blieb hölzern-didaktisch. Dafür entschädigten die persönlichen Berichte aus dem über vierzig Jahre währenden Verhältnis zu dem älteren Freund und Mentor.

Nach der unter sorgfältig dokumentierter Translozierung aller Bücher, Artefakte und Gebrauchsgüter erfolgten Renovierung zeigt sich die Wohnung im Forsthaus fast unverändert. Diskrete Barrieren, deren überflüssige Beschriftungen sich leicht übersehen lassen, schützen die Substanz. Aus den Küchenschränken werden jetzt Postkarten und Bücher verkauft. Das letzte, was hier wünschenswert ist, wäre ein Besucheransturm, der diese fragile Konservierung auf längere Zeit gefährden würde. So hat in dem Ort die freundliche Maske eines stillen Beobachters überdauert, und der Besucher fühlt sich zwischen dieser konzentrierten Stofflichkeit mehr beobachtet von den ausgelegten Botschaften denn als ein Betrachter. Die Räume bilden eine auratische Hülle, den Schmuckschuber, in den der Leser seine Lektüreerlebnisse ablegen kann.

Fotos: Ernst Jünger (1997) und sein Stahlhelm mit Einschußloch aus dem Ersten Weltkrieg: Wunder des Lebens; Sanduhren im Hause Ernst Jüngers: Das letzte, was hier in der Oberförsterei wünschenswert ist, wäre ein Besucheransturm

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