© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

Pankraz,
A. Rodin und die Schaukel in der City

Der jetzt preisgekrönte Entwurf eines zentralen Denkmals für die deutsche Einheit und Freiheit auf dem Berliner Schloßplatz („Wiedervereinigungsdenkmal“) weckt überwiegend melancholische Assoziationen, und das liegt vielleicht nicht einmal in erster Linie an dem, was man sieht, sondern eher an dem, was man nicht sieht. Was man sieht, ist eine städtische Anlage, eine Begehungsstätte, eine Art kommunaler Spielplatz. Was man nicht sieht, ist ein Denkmal.

 Berlin ist bekanntlich vollgestellt mit Denkmälern, man sieht Marx/Engels-Denkmäler, Thälmann-Denkmäler, Brecht-Denkmäler, Sowjetsoldaten-Denkmäler, den „Tod des Demonstranten“ von Alfred Hrdlicka neben der Deutschen Oper, den „Gestürzten Krieger“ von Markus Lüpertz in der Kantstraße – leider alles Denkmäler der Schande oder des Irrtums. Immerhin gibt es aber auch einen kleinen Adenauer von Helga Tiemann am Kurfürstendamm und das Bismarck-Denkmal von Max Klein aus der Kaiserzeit, im Krieg zerstört und 1996 neu erschaffen von Harald Haacke.

Alle diese Gebilde sind Menschenbilder, sie stellen Menschen dar, meistens sogar ganz konkrete Einzelmenschen, an deren gute Taten man erinnern will. Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein war ein „Denkmal“ ganz selbstverständlich ein Menschen-Abbild; man kannte gar keine andere Deutung. Wenn man manchmal von „Naturdenkmal“ oder (etwa à propos der Pyramiden von Gizeh) von „Baudenkmal“ sprach, war man sich der darin enthaltenen Metaphorik wohl bewußt. Nur der Mensch selbst konnte wirklich ein Denkmal sein, darüber waren sich alle einig.

Selbst die vielen anonymen Kriegerdenkmäler alter und neuerer Zeiten trugen durch die Bank Menschenantlitz, wie auch alle übrigen Monumente, die man für erinnerungswürdige Kollektivtaten errichtete  Als Auguste Rodin sein Jahrhundertwerk „Die Bürger von Calais“ schuf, kannte er die Gesichter von Eustache de Saint-Pierre und der übrigen Patrizier, die sich so selbstlos für ihre Stadt opferten, natürlich nicht, doch er verlieh jedem einzelnen von ihnen ein ganz eigenes Gesicht, das teils seiner Phantasie entsprang, teils das Gesicht eines seiner Freunde oder Bekannten abspiegelte. Denkmal und Gesicht waren ihm eins.

Heute nun ist der konkrete Mensch aus der Denkmalskunst fast vollständig verschwunden. Zwar mag es noch hier und da Gemeinden geben, die aus lokalpatriotischem Anlaß zum Beispiel eine Lessing- oder Wieland-Statue in leibhaftiger Menschengestalt aus Bronze oder Stein am Marktplatz errichten lassen, weil der Betreffende irgendwann einmal in ihren Mauern geweilt hat. Aber die „große Kunst“ und ihre öffentlichen Geldgeber haben vom Menschen endgültig Abschied genommen, ja sie denunzieren ihn geradezu.

Nicht mehr an Menschen und ihre guten Taten wird erinnert, sondern nur noch an gewisse Vorkommnisse und an Verabredungen, die nachgeborene Machthaber und Stichwortgeber darüber treffen. Und es sind – speziell in Berlin – nur selten gute Taten, an die erinnert wird, sondern ganz überwiegend schlechte, Untaten, gräßliche Vorkommnisse, die der Gemeinde nicht etwa genützt, sondern ihr im Gegenteil unendlich geschadet haben. Der ursprüngliche Sinn von „Denkmal“ ist um 180 Grad gedreht. Nicht mehr des Guten, sondern des Bösen wird gedacht. Die Guten erscheinen nur noch als Opfer.

Was sich daneben als Auch-Denkmalskunst etabliert, hat das Menschenbild ebenfalls resolut verabschiedet, wofür wiederum Berlin das deutlichste Exempel liefert. Statt zu erinnern, werden dort außer Untaten nur noch irgendwelche „Ideen“ hochgezogen, unverbindlicher Käse genau betrachtet, zur reinen Unterhaltung bestimmt. Da gibt es „Das Auge der Nemesis“ von Bernhard Heiliger am Lehniner Platz, „Looping“ von Ursula Sax am Messedamm,  „Europastele“ von Reinhold Hommes am Rathaus Wilmersdorf, „Pendelobelisk“ von Karl Schlamminger am Joachimstaler Platz. Die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden.

Und das jetzt zu bauende Wiedervereinigungsdenkmal fügt sich vollkommen in diese gestaltvergessene Tändelei ein. Da es hier keine Untat zu erinnern gibt, sondern einen nationalen Glücksmoment ohnegleichen, verzichtet man beflissen auf Erinnerung. Man liefert stattdessen eine ungeheure Schale („Salatschüssel“, spottet der Berliner Volksmund schon), die auf einer Achse ruht. Man kann sie nicht nur begehen, sondern sogar als Schaukel benutzen; je nachdem, wie die Begeher gehen, senkt sich die Schüssel nach der einen oder der anderen Seite. Die Kinder aller Altersklassen jubeln.

Menschenbilder kommen an diesem Undenkmal nur als Randbemalung vor; es sollen da einige östliche Bügerrechtler aus der Vorwendezeit im Klein-format gezeigt werden, die in Wirklichkeit gar nicht für die Wiedervereinigung waren und von denen auch bereits einige gegen die Aufschrift auf dem Boden der Schüssel protestiert haben sollen. Diese Aufschrift aber lautet: „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ Es ist der legendäre, in seiner raffinierten Dialektik damals höchst wirksame Schlachtruf des friedlich demonstrierenden Volkes, gegen das schließlich kein Kraut mehr gewachsen war.

Immerhin also. Fast möchte man erleichtert ausrufen: „Wenigstens etwas Gutes auf der Schüssel-Schaukel!“ Aber gemach, schon hat einer der Offiziellen Wasser in dieses Weinchen geschüttet. „Was wollt ihr denn“, ließ er verlauten, „die Buchstaben der Aufschrift werden doch als Sitzhocker gestaltet, auf denen sich die Schaukler ausruhen können.“ Das sei um so notwendiger, als das Einheitsdenkmal ja, zunächst wenigstens, auf einer riesigen Brachfläche erbaut werden müsse, ohne Fassaden und Infrastruktur darum herum, gleichsam ein Denkmal ohne Denker.

Dem bliebe wenig hinzuzufügen. Ein Denkmal ohne Denker, eine Riesenschaukel auf städtischer Großbrache, eine hehre Parole als Sitzfläche für müde Rentner. Jeder sorgt eben letztlich selbst für die ihm angemessene Spitzmarke.

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