© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

EU-Beitritt: Türkei hätte Anspruch auf 124,9 Milliarden Euro
Sprengfalle
Jens Jessen

Der Europaabgeordnete Markus Pieper hat der Beratungsfirma Gefra, die auf Bewertung der Regional- und Strukturpolitik der EU spezialisiert ist, die Frage gestellt, was es kosten würde, wenn die Türkei bereits jetzt Mitglied der EU wäre. Die Gefra errechnete, daß der Beitrittskandidat in der laufenden Finanzperiode (2007 bis 2013) Subventionen von 124,9 Milliarden Euro aus den Strukturfonds erwarten könnte. „Angesichts dieser Zahl wird schnell klar, daß das die Aufnahmekapazität der EU sprengen würde“, warnte der CDU-Politiker. Nicht einkalkuliert seien die Beitragszahlungen der Türkei. Der Beitrittskandidat Kroatien könnte nur 7,6 Milliarden Euro erwarten.

Die Türkei sucht den Weg in die EU. Gleichzeitig will der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu eine Politik der „strategischen Tiefe“ betreiben, mit der an die „Tiefe der Geschichte und des historischen Raums“ angeknüpft werden soll. Diese „neue“ Außenpolitik strebt eine engere Verbindung mit den Turkvölkern und Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches auf muslimischer Basis an.

Ob die Araber oder die islamischen Balkanvölker an einer Umarmung durch die Türkei überhaupt ein Interesse haben, ist mehr als unsicher. Die osmanische Fremdherrschaft ist noch nicht aus dem historischen Gedächtnis gelöscht. Die bevölkerungsmäßig übermächtige Türkei könnte die Möglichkeit positiver Entwicklungen eher bremsen als fördern. Strategische Tiefe und EU-Beitritt sind schwerlich miteinander zu verbinden. Es ist zu befürchten, daß ein Beitritt der Türkei Europa zerstört. Die Türkei ist ein Riese, der – wie Jaques Schuster in der Welt formulierte – Aufnahme in einen Verein alternder Zwerge begehrt.

Schon heute hat die Türkei 78 Millionen Einwohner, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt trotz beachtlicher Erfolge nur auf dem Niveau des Libanon. In 50 Jahren könnte das Land mehr Einwohner als Frankreich und Deutschland zusammen haben. Konsequenterweise wird die Türkei dann das einflußreichste Land innerhalb der EU sein. Da die Wachstumsrate der Bevölkerung 2,6 Prozent pro Jahr beträgt, wird die türkische Politik dafür sorgen, daß Jahr für Jahr bis zu drei Millionen türkische Tagelöhner nach Zentraleuropa geschickt werden, um den Bevölkerungsdruck von der Türkei zu nehmen.

Der damalige türkische Regierungschef Süleyman Demirel hat schon 1977 Helmut Schmidt verkündet, daß bis zum Ende des 20. Jahrhunderts Millionen Türken nach Deutschland exportiert werden müßten. Der SPD-Kanzler wehrte ab: „Das wird nicht stattfinden, das werden wir nicht zulassen.“ Doch Demirel beharrte: „Warten Sie mal ab. Wir produzieren die Kinder, und Ihr werdet sie aufnehmen.“ Dank der EU-Freizügigkeit wäre eine türkische Masseneinwanderung nicht zu verhindern. Die Europäer würden dann nicht die Türken assimilieren, sondern die Türken die Europäer.

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