© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

Die Fraktionen und ihre illegale Beute
Fraktionszulagen: Verfassungswidrige Zusatzdiäten, unzulässig finanzierte Parteizeitungen, Geheimniskrämerei – aus dem Sumpf der deutschen Politikfinanzierung
Ronald Gläser

Eine Versammlung im Berliner Abgeordnetenhaus: Im Raum 311 haben sich etwa 100 Anhänger der Grünen versammelt. Parteifunktionäre, Mandatsträger, Fußvolk. Es geht um Kernkraft. Moderiert von der Berliner Abgeordneten Astrid Schneider  diskutieren Umweltschützer und der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima.

Die Abgeordnete Schneider wettert gegen die Atomkonzerne und widerspricht den Forderungen nach neuen Stromtrassen: „Die Stromverbraucher wurden belogen von den Stromkonzernen, von der Regierung und vor allem von Brüderle. Wir Grüne sagen, wir brauchen keine neuen Kabel.“ Zustimmung im Saal.

Ihr Parteifreund Fell wirbt in seiner Rede für erneuerbare Energien und beendet seine Rede mit einem Hinweis auf die bevorstehende Berliner Abgeordnetenhauswahl: „Es ist toll, daß viele Bürger in Baden-Württemberg das erkannt haben. Und bald brauchen wir das auch in Berlin.“ Der Saal klatscht begeistert.

Im Anschluß gibt es Brezeln und Wein – natürlich „bio“ und auf Kosten der Partei. Auf Kosten der Partei? Nicht ganz. Denn der offizielle Ausrichter dieser Wahlkampfveranstaltung ist nicht die grüne Partei, sondern die grüne Abgeordnetenhausfraktion. Das steht aber auch in der Einladung nur im Kleingedruckten. Die grüne Fraktion bezahlt und beherbergt eine Wahlkampfveranstaltung für die grüne Partei.

Ein solcher Hinweis mag haarspalterisch wirken. Ist er aber nicht. Es geht bei der dahinterstehenden Problematik um ein Millionengeschäft und ständigen Verfassungsbruch – begangen von allen großen politischen Parteien. „In fast allen deutschen Parlamenten findet ein doppelter Verfassungsbruch statt“, klagt der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim in seinem neuen Buch „Der Verfassungsbruch“.

Hemmungslos entscheiden die Parteien in den Parlamenten in eigener Sache: Jahr für Jahr steigen die Beträge, die sich die große Koalition von CSU bis Linkspartei gegenseitig zuschustert.

Die Öffentlichkeit hat dabei den Blick lange, zu lange nur auf die direkte Parteienfinanzierung gerichtet, die über Jahrzehnte hinweg massiv gestiegen ist. Von 19,4 Millionen Euro (1965) auf derzeit 133 Millionen. Und der Betrag wäre noch viel, viel weiter gestiegen, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht vor knapp zwei Jahrzehnten eine Deckelung der Parteienfinanzierung erzwungen hätte. Seitdem steigen diese Zuwendungen, die auch kleinen, nicht in Parlamenten vertretenen Parteien zugute kommen, nur noch geringfügig.

Gleichzeitig haben die etablierten Parteien aber eine neue Geldquelle aufgetan: die Fraktionszulagen. Durch die Steigerung dieser Millionenbeträge haben sie auch einen Weg gefunden, die Finanzierung des Politikbetriebes aus Steuermitteln zu erhöhen, ohne daß die kleinen Parteien davon profitieren. Seit 1965 sind die Fraktionszuschüsse von rund fünf Millionen auf 186 Millionen Euro gestiegen. Diese Zulagen sind also auf das 37fache gestiegen. Es sind Wachstumsraten, die noch sehr viel rasanter sind als das Ansteigen der Parteienfinanzierung, die sich „nur“ versiebenfacht hat.

Aber sind diese Zuschüsse an die Parlamentsfraktionen nicht gerechtfertigt? Eine Fraktion braucht qualifizierte Mitarbeiter und muß im Bedarfsfall weitere Experten hinzuziehen können. Schließlich sind die Gesetze im Laufe der Zeit immer komplizierter geworden. Nur noch Spezialisten verstehen sie überhaupt. Jedoch: Was hier als Erklärungsansatz für das Wachstum des bürokratischen Wasserkopfs in den deutschen Parlamenten herhalten soll, ist in Wirklichkeit die Wurzel des Übels. Denn die Gesetze sind nur deswegen so kompliziert, weil die Volksvertreter sie so gemacht haben. Weil immer mehr „Experten“ daran mitwirken. Kurz: Weil immer mehr Köche den Brei längst verdorben haben.

Und die Parteien denken nicht daran, eine Trendwende herbeizuführen. Besonders auffällig ist das Wachstum der Fraktionszuschüsse nach spektakulären Wahlergebnissen. So wurden die Mittel in Thüringen 2010 um vierzig Prozent erhöht. Zuvor hatte die CDU bei der Landtagswahl fast zwölf Prozent verloren. Der monatliche Zuschuß für die CDU-Fraktion von 120.000 Euro bleibt jedoch im wesentlichen unverändert, obwohl er an die Zahl der Stimmen oder der Abgeordneten gebunden sein müßte. Die anderen Parteien können sich über massive Zuwächse freuen. Auch bei konstanten Stimmergebnissen.

Im gleichen Jahr stiegen die Fraktionszulagen in Bayern, wo die CSU 2008 eine herbe Niederlage erlitten hatte (minus 17 Prozent). Die Mittel der Fraktion bleiben jedoch fast unverändert, dank einer Anhebung der Fraktionszuschüsse um 39 Prozent in einem einzigen Jahr. Das gleiche Bild im Saarland: Erst eine krachende Niederlage der Union bei der Wahl 2009 (minus 13 Prozent), dann eine mächtige Anhebung der Fraktionszuschüsse um rund 24 Prozent.

Jedesmal sind in diesen Fällen neue Fraktionen in die Parlamente eingezogen. Das bedeutet natürlich, daß ein weiterer Pressesprecher und neue Computer- und Telefontechnik bezahlt werden müssen. Im großen und ganzen aber bleibt der Aufwand gleich groß, denn die Gewinne der neuen Partei gehen zu Lasten der anderen Parteien, müßten sich also beim Wahlverlierer in niedrigeren Fraktionszuschüssen niederschlagen. Das ist aber nicht der Fall.

Außerdem fällt auf, daß die Mittel nie richtig zusammengestrichen werden, wenn eine Partei aus dem Parlament fliegt. Abgesehen von kosmetischen Absenkungen passiert in diesem Falle nichts: Die verblieben Parteien teilen das „freiwerdende“ Kuchenstück dann großzügig unter sich auf.

So zum Beispiel im Bundestag, aus dem die PDS 2002 ausgeschieden war. Zunächst wurden die Fraktionsmittel gekürzt, aber schon am Ende der Legislaturperiode (2005) lagen sie dank kräftigen Wachstums sogar über dem Wert von 2002. Als die in Linkspartei umgetaufte PDS in den Bundestag zurückkehrte, explodierten die Zuschüsse von 62,2 auf 67,5 Millionen Euro. Das entspricht einem Wachstum von neun Prozent. In nur einem einzigen Jahr.

Die Linkspartei verwendet die ihr nun wieder zustehenden Mittel zum Beispiel zur Produktion dreier Zeitungen (Clara, Klar und Querblick). Sie werden an Mitglieder oder Interessenten kostenfrei verschickt. Mit anderen Worten: Die Linke rechnet eine ihrer Parteizeitungen über die Fraktionskasse ab, wälzt die Kosten also auf den Steuerzahler ab.

Immer wieder werden mit Fraktionsgeldern Publikationen erstellt, die der Parteiwerbung dienen. Und nur selten sind sie mit einem Satz wie diesem versehen, der in einem Heft der Unionsfraktion steht: „Diese Veröffentlichung dient ausschließlich der Information. Sie darf während eines Wahlkampfes nicht zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden.“

In diesen Zusammenhang gehören auch die Wahlkreisbüros der Abgeordneten, die zwar nicht aus Fraktionsmitteln, sondern aus dem Budget der Abgeordneten bezahlt werden und der Bürgernähe des Volksvertreters dienen sollen. Oftmals ist die Adresse der Parteigeschäftsstelle mit der des Abgeordnetenbüros identisch. Solche Fälle gibt es in allen Parteien. Der Verdacht liegt nahe, daß viele dieser Parteibüros letztlich aus Steuermitteln bezahlt werden. Ein klarer Fall von Zweckentfremdung.

Mit dem zusätzlichen Geld bezahlen die Fraktionen nicht nur Zeitungen für Sympathisanten oder Angestellte, die dann die Arbeit machen, die eigentlich Aufgabe der Abgeordneten wäre. Ein wachsender Teil der Fraktionszuschüsse fließt in Form von Zulagen an die Abgeordneten selbst weiter, die vorher darüber abgestimmt haben. Diese Zulagen sind schon deshalb verfassungswidrig, weil für Abgeordnete ein strikter Gleichheitsgrundsatz gilt. Einzige Ausnahmen: Parlamentspräsident und Fraktionsvorsitzende. Inzwischen kassieren aber auch immer mehr stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Vorsitzende von Arbeitsgruppen mit ab.

Es kommt nicht von ungefähr, daß immer öfter Berufspolitiker den Titel „Fraktionsvize“ tragen. Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, hat beispielsweise bereits zehn Stellvertreter. Bei der SPD sind es neun stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Im Falle der Union kommen 42 Vorstandsmitglieder, darunter Arbeitskreisvorsitzende und weitere Würdenträger hinzu, die vermutlich alle unzulässige Zulagen kassieren. Unzulässig deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht sie im Jahr 2000 für verfassungswidrig erklärt hat.

Das hindert die Fraktionen aber nicht daran, diese Leistungen weiter zu zahlen. Wieviel Geld genau an wen fließt, wird jedoch wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Die Öffentlichkeit erfährt nur die Summe: Im Falle der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag betrug sie 2009 1,3 Millionen Euro. Das entspricht bei 239 Abgeordneten 5.400 Euro pro Kopf. Bei den anderen Parteien sieht es nicht anders aus: SPD 1,1 Millionen Euro, FDP 0,5 Millionen, Grüne und Linke jeweils rund 0,3 Millionen.

Durch immer stärker ausdifferenzierte Zulagen für die Mitglieder der Fraktionen entsteht aber ein Hierarchiesystem, das die Macht der Fraktionsführung stärkt und damit die Rechte des einzelnen Abgeordneten beeinträchtigt. Der Weg hin zur Fraktionspartei – anstelle der Mitgliederpartei – wird so zementiert. Erst recht werden die Machtverhältnisse innerhalb der Fraktionen gestärkt. Die Abgeordneten, die die Unabhängigkeit ihres Mandates ernst nehmen und gegen die Fraktionsdisziplin stimmen, geraten so noch schneller ins Hintertreffen. Dabei müßten sie es sein, die den ständig steigenden Fraktionszulagen Einhalt gebieten.

 

Fraktionszuschüsse: So wird gemauert und vertuscht

Noch nie hat jemand die Zahlen der jährlichen Fraktionsfinanzierung zusammengetragen und mit den Beträgen für die Parteienfinanzierung – zu sehen im linken Liniendiagramm – verglichen.

Die Zahlen des Bundestages und der Länderparlamente mußten bei 17 einzelnen Parlamenten angefragt werden. Dort wird gemauert, wenn es um das Reizthema Fraktionsfinanzen geht.

Das Berliner Abgeordnetenhaus etwa schickte einen Papierstapel mit der Aufforderung, sich die Daten selbst herauszusuchen. Bei der Durchsicht stellte die JF-Redaktion fest, daß die Unterlagen unvollständig waren. Andere Landtage wie Thüringen oder Baden-Württemberg machten ebenfalls unvollständige Angaben, verbunden mit dem Hinweis, in früheren Jahren habe niemand eine Statistik dazu geführt – eine Ausrede, die sich der Bürger in bezug auf seine Steuerunterlagen niemals erlauben dürfte. Einige Landtage verwiesen stur auf ihre Internetseite, obwohl die Informationen dort gar nicht ersichtlich sind. Zwei Parlamente antworteten gar nicht, auch nicht auf Nachfrage. Das Diagramm beruht daher zum Teil auf Schätzungen.

Daß es auch anders geht, bewies ein Mitarbeiter des  Brandenburger Landtags in Potsdam. Er antwortete unverzüglich und vollständig – gefolgt vom Pressesprecher des Kieler Landtags.

Hans Herbert von Arnim: Der Verfassungsbruch – Verbotene Extra-Diäten – Gefräßige Fraktionen. Duncker & Humblot, 2011, broschiert, 155 Seiten, 18 Euro

Foto: Reichtstagskuppel:          Hier wird der Steuerzahler ausgepreßt wie eine Zitrone

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