© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/11 22. April 2011

Rekruten dringend gesucht
Nachwuchssorgen: Nach dem Ende der Wehrp_ icht bleiben die Kasernen der Bundeswehr leer
Hans Christians

Früher warb die Bundeswehr mit dem Slogan „Eine starke Truppe“. Nach der Abschaffung der Wehrpflicht ist es damit aber vorbei. „Von der Truppe zum Trüppchen“, ätzte jetzt die Internetredaktion des ZDF. Denn die Zahlen sind in der Tat alarmierend: Am 1. Januar, als die letzten Wehrpflichtigen „gezogen“ wurden, gab es noch 12.150 Rekruten, am 1. April waren es nur noch 1.250.  Die Bundeswehr-Strategen hatten mit vielem gerechnet, aber nicht mit einem Einbruch um mehr als 90 Prozent. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums versucht zu beschwichtigen. Vieles müsse sich einspielen, man kenne keine Soll-Zahlen mehr. Aber er gibt zu, daß die derzeitige Situation eine neue Qualität habe.

Früher galt die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber – vor allem zu Zeiten des Kalten Kriegs. Eine latente Bedrohung schien stets gegeben, eine unmittelbare war allerdings nicht zu erkennen. Von „Beamten in Uniform“ sprachen Kritiker. Die Bundeswehr zahlte gut und pünktlich, und abgesehen von ein paar Manövern im Jahr verabschiedete sich ein Großteil der Zeit- und Berufssoldaten Freitag Mittags ins Wochenende. Heute dagegen gehören Auslandseinsätze zur Tagesordnung und mit ihnen der Tod. Mit dem Ruf des „sicheren Arbeitsplatzes“ ist es also vorbei.

Verkommt die Bundeswehr nach dem Ende der Wehrpflicht nun zu einer Armee der Armen, Außenseiter und Abenteurer? Im Jahresschnitt müßten rund 15.000 Rekruten geworben werden, davon ist man derzeit jedoch meilenweit entfernt. Und ein Blick in die Reihen der Bündnispartner läßt Schlimmes erahnen. Um ihre eigenen Reihen aufzufüllen, rekrutieren zum Beispiel die Amerikaner mittlerweile Zehntausende Haitianer, Mexikaner und Kandidaten aus anderen strukturschwachen Ländern. Dieses Szenario halten Experten auch bei der Bundeswehr für möglich. Bisher muß ein Bewerber zumindest noch die deutsche Staatsbürgerschaft vorweisen können, die ursprüngliche Abstammung spielt schon keine Rolle mehr und wird auch statistisch gar nicht erfaßt. „Unsere Mannschaften sind häufig Rußlanddeutsche, die Unteroffiziere haben libanesische oder türkische Wurzeln, die Offiziere sind meist deutscher Herkunft“, skizziert ein Offizier in der Rheinischen Post die Schichtenbildung innerhalb der Truppe.

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat angesichts der aufkommenden Unruhe innerhalb der Truppe eine gesellschaftliche Debatte über deren Rolle gefordert. Er wolle eine geistige, politische und ethische Debatte über die Rolle der Bundeswehr in der Gesellschaft führen, sagte de Maizière im Deutschlandfunk. Die Bundeswehr sei keine Landesverteidigungsarmee im klassischen Sinn und keine Wehrpflichtarmee mehr. Ob nach der Aussetzung der Wehrpflicht die Armee ein Staat im Staate werden könne, liege aber „nur zur Hälfte an der Bundeswehr, zur anderen Hälfte an der Gesellschaft“.

Doch die Truppe muß sich die Frage gefallen lassen, welche Anreize sie den Bewerbern bietet. Bisher wirbt sie unter anderem mit einer Verpflichtungsprämie. Vorgesehen ist eine steuerfreie Weiterverpflichtungsprämie von monatlich 100 Euro für Grundwehrdienstleistende und Rekruten, die ihren im Jahr 2011 endenden Wehrdienst freiwillig verlängern oder seit dem 1. Januar 2011 bereits verlängert haben. Kritiker sagen, genau diese Vorgehensweise richte sich speziell an die „Unterschicht“.

Unter der Internetadresse www.bundeswehr-karriere.de hat die Truppe nun ein eigenes Werbe-Portal eingerichtet. Aber es droht bereits neues Ungemach. Bisher hat die Bundeswehr immer stolz auf ihre Einbettung in der Gesellschaft verwiesen. Doch Ende des Jahres wird das Verteidigungsministerium bekanntgeben, welche der 400 Kasernen geschlossen werden. Den stationierten Soldaten drohen Umzüge. Das macht die Armee für künftige Bewerber nicht unbedingt attraktiver. Militärgeistliche berichten darüber hinaus über eine außergewöhnlich hohe Scheidungsrate innerhalb der Truppe. Ein Gütesiegel ist auch das nicht.

Mit einer großangelegten und bis zu 5,7 Millionen Euro teuren Werbekampagne mit Radio-, Fernseh- und Kinospots sowie Anzeigen vor allem in der Boulevardpresse versuchen die Strategen den Trend umzukehren. Dabei vermittelt die Bundeswehr allerdings den Eindruck, sie sei händeringend auf Bewerbersuche.

Foto: Aktuelle Zeitungsanzeige der Bundeswehr: Rekruten aus der Unterschicht und dem Ausland?

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