© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Die Legende von der billigen Kernenergie
Subventionen: Nicht nur alternative Energieträger und Steinkohle benötigen Steuergelder / Anhaltender Finanzbedarf auch nach einem Atomausstieg
Marco Meng

Wurde Tschernobyl noch als sowjetische Schlampigkeit abgetan, so mehren sich angesichts der Katastrophe in Fukushima die Zweifel, ob die Atomtechnik im Falle eines Falles beherrschbar ist. Es sei zwar richtig, auf erneuerbare Energien auszubauen, sagte RWE-Chef Jürgen Großmann, warnte aber, daß billige Energie und zugleich ein kompletter Umbau der Stromversorgung „eine Illusion“ seien.

Illusionen darf man sich aber auch nicht über die Kosten der Atomenergie machen. Ließe man alle externen Kosten – ohne GAU – vom Uranabbau, der Haftpflichtversicherung bis zur Endlagerung mit in den Strompreis einfließen,  würde eine Kilowattstunde Atomstrom zwei Euro kosten. Für einen Zweipersonenhaushalt ergäben sich daraus jährlich etwa 6.000 Euro an Stromkosten.

Die Atomindustrie genießt seit Jahrzehnten weltweit Subventionen und Privilegien wie kein anderer Industriezweig. Während die Energiekonzerne Milliarden mit der Atomkraft verdienen, trägt der Steuerzahler die Kosten für Forschung, Risikovorsorge und Entsorgung. Die Beseitigung alter Reaktoren und Kernforschungsanlagen wird den Steuerzahler noch auf Jahrzehnte belasten.

Das Bundesforschungsministerium schätzt die künftigen Ausgaben des Bundes für den Rückbau alter Atomanlagen auf etwa 5,4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2035. Zusammen mit den bereits angefallenen Kosten summieren sich die Gesamtausgaben auf rund 10,6 Milliarden Euro. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gab der Bund bislang insgesamt mehr als 40 Milliarden Euro für die Förderung der Atomenergie aus.

Der Bau von Forschungsreaktoren kostete rund 20 Milliarden Euro. Hinzu kommen diverse Nachrüstungen: Sie kosteten am AKW Biblis A zwischen 1999 und 2005 rund 540 Millionen Euro. Auch die Kosten bei Unfällen sind enorm. Beispiel Tschernobyl: Neben den Tausenden Strahlenopfern mußten 350.000 Menschen evakuiert werden, die Krebsrate in Weißrußland stieg um 40 Prozent. Der volkswirtschaftliche Schaden eines vergleichbaren GAUs in Deutschland läge laut Bundeswirtschaftsministerium in Billionen-Höhe.

Doch das Wiener Übereinkommen über die Haftung von nuklearen Schäden von 1963 beschränkt die Haftung der Betreiber von Atomkraftwerken auf 460 Millionen US-Dollar – ein Bruchteil der Kosten also. Alle darüber hinausgehenden Schäden fallen an den Staat. Nicht abzusehen sind zudem die Kosten für den Abriß von Atomanlagen und die sichere Endlagerung des angefallenen radioaktiven Materials. Die bisherigen Kosten für Stillegungen, Rückbau und Sanierung von Lagerstätten werden in Deutschland auf 14,5 Milliarden Euro geschätzt. Die Sanierung des mitteldeutschen Urantagebaugebiets der Wismut AG kostete 6,6 Milliarden Euro, der Abriß des Versuchsreaktors Jülich 500 Millionen, der Betrieb und die Stillegung des Atommülllagers Morsleben 1,2 Milliarden Euro. Das Atommüllager Asse wird bis 2035 insgesamt 10,6 Milliarden Euro verschlungen haben.

Die regenerativen Energien sind allerdings ebenfalls nicht billig zu haben: Allein der nötige Netzausbau für das wachsende Angebot an Wind- und Solarstrom erfordert laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ein Investitionsvolumen von etwa 27 Milliarden Euro bis 2020.

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