© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Marktwirtschaft ohne Haftung
Lobbypolitik: Finanz- und Atomwirtschaft können im Katastrophenfall ungeniert auf den Staat und den Steuerzahler zurückgreifen
Philipp Bagus

Wo heutzutage etwas ins arge gerät, ist der Schuldige meist schnell gefunden: der Markt. Der wilde ungebändigte Kapitalismus bescherte uns die Finanzkrise und die gierige Atomindustrie die japanische Kernschmelze, so der allgemeine Tenor. Als Reaktion ruft man nach mehr Staat und Regulierungen für Banken oder Abschaltung von Atomkraftwerken.

Doch eine Marktwirtschaft kann nicht funktionieren, wenn Eigentumsrechte nicht adäquat definiert und verteidigt werden. Wer fremdes Eigentum verletzt, muß für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Staaten haben es sich zur Aufgabe gemacht, Eigentumsrechte zu verteidigen und Haftung sicherzustellen. Gerade dies geschieht aber in den beiden Sektoren nicht.

Die Atomwirtschaft ist in den meisten Ländern bei der Haftung privilegiert. Rühmliche Ausnahme ist Österreich. Dort sieht das Atomhaftungsgesetz eine verschuldensunabhängige Haftung ohne Beschränkung vor. In Frankreich haften die Betreiber von Atomkraftwerken nur für Schäden bis 91,5 Millionen Euro je Kraftwerk. In den USA kommen Betreiber für 12,6 Milliarden Dollar auf, darüber springt der Staat ein. In Deutschland haften AKW-Betreiber prinzipiell unbegrenzt, jedoch sind Schäden aus schweren Naturkatastrophen nur bis zu 2,5 Milliarden Euro abgedeckt. Zum Vergleich: Die Ölpest im Golf von Mexiko kostete den BP-Konzern bislang allein an Entschädigungen 19 Milliarden Euro – Einnahmeausfälle und Aktienkursverluste nicht mitgerechnet.

Am schlimmsten bestellt um Eigentumsrechte ist es – man mag es erahnen – in Japan, wo zwischen Großindustrie und Politik traditionell ein besonders enges Verhältnis besteht. Dort müssen Betreiber für Schäden nach Naturkatastrophen eigentlich gar nicht haften. Der Betreiber des Kraftwerks von Fukushima, der an der Tokioter Börse notierte Energiekonzern Tepco, zahlte zunächst nichts an die Geschädigten. Nur auf Drängen der Regierung hat sich der größte Energieproduzent Japans entschlossen, zunächst jeweils 20 Millionen Yen (165.000 Euro) an neun Gemeinden zu zahlen. Doch nicht nur Haus und Grund sind zu entschädigen.

Gesundheitliche Schäden sind schwer nachweisbar. Zu den Produktions- und Einkommensausfällen in Industrie, Landwirtschaft und Fischerei kommen immaterielle und Image-Schäden für die ganze Region Fukushima hinzu. Doch Tepco weist bei einem Umsatz von umgerechnet 43,9 Milliarden Euro lediglich einen Nettogewinn von 2,6 Milliarden Euro aus. Für einen Großteil der Schäden werden wohl am Ende die Betroffenen oder die japanischen Steuerzahler aufkommen müssen. Von den Konsequenzen ihrer Handlungen teilweise entbunden, sparen die Atombetreiber bei der Sicherheit. So verfügte Fukushima beispielsweise nicht über eine doppelte Außenhülle oder einen Core-Catcher, ein Keramikbecken zum Auffangen einer eventuellen Kernschmelze. Der kleinere Tohoku-Konzern hat bei seinen AKW vorsorglich mehr investiert: Sie hielten den – sogar höheren – Tsumaniwellen in Onagawa am 11. März stand.

In der Finanzbranche liegen die Dinge ähnlich. Die Eigentumsrechte von Sichteinlagen (Giro- und Tagesgeldkonten) sind nicht klar geschützt. Banken können sich deponierte Gelder aneignen und verleihen. Mit dem Kreditausweitungsprivileg schaffen Banken Geld aus dem Nichts. Die Kreditschwemme läßt die Zinsen sinken. Fehlinvestitionen werden angestoßen. Der entfachte Aufschwung kehrt sich durch einen Mangel an Ersparnissen früher oder später um. Es kommt zur Krise. Bankvermögenswerte verlieren an Wert. Das Vertrauen der Kunden schwindet.

An diesem kritischen Punkt rettet der Staat auf Kosten des Steuerzahlers die (Groß-)Banken. Staatliche Einlagengarantie und unbegrenzte Zentralbankkredite sollen Bankenstürme abwenden. Da Zentralbanken neues Geld schaffen und an gefährdete Banken verleihen, drängen die Preise nach oben. Der Normalbürger leidet. In besonderen Härtefällen springt der Staat direkt „systemischen“ Banken bei (HRE, Commerzbank usw.). Wieder zahlt der Bürger die Rechnung.

Banken wissen, daß sie auf eine Zentralbank zurückgreifen und im Ernstfall vom Staat gerettet werden können; vor allem wenn sie groß sind und andere Banken mit in den Abgrund reißen könnten (Too big to fail-Problem). Entbunden von den negativen Folgen ihrer Handlungen, agieren sie risikoreicher. Banken minimieren ihre Barreserven und investieren neu geschaffenes Geld in gewagte Projekte. Der Großteil der Privatleute und Unternehmen muß voll haften – sie und werden nicht vom Staat oder der Zentralbank bei Liquiditäts- oder Solvenzproblemen gerettet.

Doch warum werden die Atom- und Bankenindustrie privilegiert? Die Atomindustrie verfügt traditionell über eine einflußreiche Lobby. In vielen Staaten ist die Energiebranche stark reguliert und teilweise verstaatlicht, da ihre Kontrolle auch ein Machtinstrument ist. Die Bankenindustrie pflegt ebenso eine enge Verbindung zum Staat. In Deutschland versuchte sich die öffentliche Hand via Landesbanken & Co. ebenfalls als „Spekulant“ – nach anfänglichen Millionengewinnen endete dies ab 2007 in Milliardenverlusten. Die Finanzindustrie ist zudem Financier des Staates: Banken kaufen mit neuem Geld Staatsanleihen und ermöglichen so zum Beispiel teure Kriege oder Wohlfahrtsstaaten.

Die katastrophalen Folgen der engen Verquickung von Staat und privilegierten Industrien und der unzureichenden Verteidigung von Eigentumsrechten zeigen sich in Fukushima wie der Finanzkrise. Sie offenbaren das totale Versagen des Staates. Das Wohl der Menschheit hängt von einer raschen und vollständigen Einführung von Markt und Eigentumsschutz in diesen Industrien ab.

 

Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt Ökonomie an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. www.philippbagus.com

Foto: AKW Fukushima: Betreiber Tepco hatte anders als der Konkurrent Tohoku bei der Tsunami-Vorsorge gespart

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