© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Offene Euro-Rechnungen
Krise der Währungsunion: Der höhere Zinssatz der Zentralbank und die Euro-Rettungspläne belasten den deutschen Staatshaushalt
Bernd-Thomas Ramb

Erst wird das dauerhafte Euro-Rettungspaket geschnürt (JF 14/10), dann läuft die Rettungsaktion der portugiesischen Staatsfinanzen an, und nun erreicht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die nächste Hiobsbotschaft: der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) wird erhöht. Die gute Nachricht, die höheren Wachstums­aussichten der deutschen Wirtschaft, vermindert zwar die Etatbelastungen, die Gesamtrechnung fällt jedoch negativ aus. Den Steuerzahler erwarten entweder noch weiter steigende Abgaben oder – womit eher zu rechnen ist – die deutschen Staatsschulden erreichen schwindelerregende Höhen.

Schon jetzt peilt die Gesamtsumme der deutschen Staatsschulden bei Bund, Ländern und Gemeinden die Schallmauer von zwei Billionen Euro an. Im letzten Jahr hatte die öffentliche Hand Zinszahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 60 Milliarden Euro zu leisten – bei einem Tiefstand der Zinssätze. Bei einer Umlaufrendite festverzinslicher Wertpapiere von 2,7 Prozent mußte der Staat für jeden Prozentpunkt 22,4 Milliarden Euro zahlen. Schlägt die jüngste Anhebung des EZB-Basissatzes um 0,25 Prozentpunkte auf die entsprechende Erhöhung der Umlaufrendite durch, kann der deutsche Fiskus die neuen Emissionen seiner Schuldverschreibungen nur mit höheren Zinsangeboten loswerden.

Die Erhöhung des EZB-Zinssatzes kann den Staatsschuldenverwaltern daher nicht gleichgültig sein, denn sie wird voraussichtlich eine Mehrbelastung von 5,5 Milliarden Euro bewirken. Bleibt die EZB bei ihrem Kurs der Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhungen, werden nachfolgende Zinsschritte unausweichlich. Erhöht sich dadurch die Umlaufrendite auf beispielsweise fünf Prozent (der Durchschnittswert der letzten 20 Jahre), sind nicht mehr 60 Milliarden, sondern fast 112 Milliarden Euro an jährlichen Zinszahlungen für die deutschen Staatsschulden fällig – und dies auch nur, wenn die Schuldenhöhe selbst nicht weiter ansteigt.

Die Zunahme der Neuverschuldung ist aber schon durch die mittelfristige Finanzplanung vorherzusehen. Allein der Bund will bis 2015 neue Kredite in einer Gesamthöhe von 130,8 Milliarden Euro aufnehmen. Erst danach soll die Schuldenbremse einen Stillstand bewirken. Die Bundesländer dürfen und werden sogar bis zum Jahr 2020 ihre Schuldenberge weiter anhäufen. Danach ist auch für sie der Haushaltsausgleich vorgeschrieben. Ob dies die besonders finanzschwachen Bundesländer Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, vor allem aber die chronisch klammen Stadtstaaten Berlin und Bremen schaffen, ist kaum anzunehmen.

Die derzeit guten Konjunkturaussichten senken zwar die zunächst erwarteten Haushaltsdefizite, für einen dauerhaft ausgeglichenen Staatshaushalt sind jedoch weitaus höhere Wirtschaftswachstumsraten notwendig – vor allem wenn die Inflation wirklich energisch bekämpft wird. Längerfristig ist aber eher mit mäßigen Raten des Wirtschaftswachstums zu rechnen. Dies läßt nicht nur der seit Jahrzehnten deutlich abfallende Trend der deutschen Wachstumsraten befürchten. Die ungünstige demographische Entwicklung und die Ausbildungsdefizite, die sich schon jetzt im zunehmenden Facharbeitermangel offenbaren, verstärken die Schwierigkeiten, künftig ein hinreichend großes Wirtschaftswachstum in Deutschland zu erzeugen.

Ab sofort und weitaus gravierender schlagen die hektischen Euro-Rettungsversuche ins Kontor. Die vorläufige Rettung Griechenlands mit einem Kapitalzufluß von 110 Milliarden Euro kann zwar – soweit es die direkten Zahlungen anbelangt – bereits in der deutschen Schuldenerhöhung als verbucht gelten, die Kreditbürgschaften schweben allerdings als Damoklesschwert über dem Haupt des deutschen Steuerzahlers. Geht der griechische Staat ganz oder teilweise in den Bankrott, entstehen für Deutschland Zahlungsverpflichtungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Würde für alle Schulden Griechenlands in Höhe von derzeit 300 Milliarden Euro gehaftet, wäre Deutschland mit mindestens 80 Milliarden beteiligt.

Irlands gesamte Staatsschulden betragen zwar nur 105 Milliarden Euro, die enge Verflechtung mit den irischen Banken kann diesen Betrag jedoch schnell explodieren lassen. Würden allein der bestehende irische Staatsschuldenbetrag vom Euro-Rettungsschirm abgedeckt und die entsprechenden Bürgschaften zur Haftung fällig, wäre der deutsche Anteil mindestens 27 Milliarden Euro hoch. In einer ähnlichen Größenklasse befindet sich allein das aktuelle Hilfsangebot für die portugiesischen Staatsfinanzen.

Mit 9,3 Prozent betrug Portugals Staatsdefizit schon 2009 mehr als das Dreifache des Maastricht-Grenzwertes. Die staatlichen Gesamtschulden summierten sich auf knapp 128 Milliarden Euro – das waren über drei Viertel der jährlichen Wirtschaftsleistung. Etwa zwei Drittel der Schulden stehen jetzt zur Refinanzierung an, und Portugal findet keine neuen Gläubiger zu bezahlbaren Konditionen. Es ist demnach nur eine Frage der Zeit, wann auch der Rest vom Euro-Rettungsschirm abzudecken ist. Finanzielles Gesamtrisiko für Deutschland: mindestens 34 Milliarden Euro.

Sollte Portugal das Nachbarland Spanien mit in den finanziellen Abgrund reißen, wird es richtig teuer. Die spanischen Gesamtschulden liegen bei mehr als 560 Milliarden Euro. Wird Griechenland, Irland und Portugal geholfen, hat auch Spanien ein Recht auf Unterstützung. Für Deutschland bedeutet dies eine zusätzliche Belastung von mehr als 150 Milliarden Euro. Bleibt noch Italien als ernstzunehmender Pleitekandidat. Werden dort die Staatsschulden in einer Gesamthöhe von 1.764 Milliarden Euro (2009) unterstützungsbedürftig, sei der Form halber erwähnt: Deutschlands Anteil betrüge 476 Milliarden Euro. Der Internationale Währungsfonds (IWF) zählt inzwischen sogar Belgien zur Euro-Gefahrenzone.

„Der hohe Schuldenstand, die Fälligkeiten der Staatsanleihen und die Abhängigkeit von ausländischem Kapital bergen hohe Kreditrisiken, wenn sich die Stimmung der Investoren verschlechtert“, zitierte die Süddeutsche Zeitung vorige Woche aus einem IWF-Bericht. Dank einem relativ guten Rating von AA+ kann sich das EU-Kernland zwar derzeit noch für etwa vier Prozent Zinsen verschulden, aber das politisch tief gespaltene Königreich ist seit über 300 Tagen ohne reguläre Regierung. Die Staatsschuldenquote liegt mit etwa hundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) über der von Portugal. Bei einer möglichen Unabhängigkeitserklärung des wirtschaftsstarken Flandern stellte sich die Frage der Finanzierung der defizitären Wallonie – was ein neues Beben an den Finanzmärkten auslösen dürfte.

Die aktuelle Lage in Europa ist zwar noch vom größten anzunehmenden Finanzdebakel entfernt, Risikostudien sind jedoch durchaus angebracht. Zumal sich die Vorboten der Auswirkungen schon zeigen. Die zunehmende Einbindung Deutschlands in die Haftung für die Staatsschulden maroder Euro-Länder führt schon jetzt zu einem Abwertungsdruck auf die deutsche Bonität als Schuldner und einen beginnenden Anstieg der deutschen Zinsen. Die monatlich erfaßten Werte stiegen im letzten halben Jahr von 2,3 auf 3 Prozent – noch bevor die EZB zusätzlich ihren Zinserhöhungskurs eingeschlagen hatte.

Foto: Stand der Schuldenuhr am 12. April 2011 um 14.24 Uhr: Zu den ohnehin aufgelaufenen deutschen Staatsschulden kommen nun die Zahlungen für die Euro-Pleiteländer noch hinzu

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