© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Der Sturz des Guido W.
FDP: Nach der radikalen Verjüngung der Parteispitze drohen sich die Liberalen im Nebel der Beliebigkeit zu verlieren
Paul Rosen

Da ist kein Lotse von Bord gegangen, sondern ein orientierungsloser „Leichtmatrose“ Guido Westerwelle vom sinkenden FDP-Schiff heruntergejagt worden. Von einem „geordneten Rückzug“ Westerwelles, der die Geschicke des einstmaligen Mehrheitsbeschaffers FDP zehn Jahre lang leitete, kann keine Rede sein. Die Partei, die nicht mehr weiß, wofür und wogegen sie steht, sucht mit Gesundheitsminister Philipp Rösler ihr Heil in einer weiteren Verjüngung. Dabei war der nun scheidende Vorsitzende nicht einmal 50 Jahre alt.

Wie oft im Leben von Politikern liegen große Triumphe und finale Abstürze zeitlich nicht unbedingt weit auseinander. 2009 schaffte die FDP unter Westerwelles Führung mit fast 15 Prozent das beste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten. In diesem Jahr flog sie aus den Landtagen in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz. Wenn in vier Wochen Bundestagswahlen wären, könnte der 18. Deutsche Bundestag der erste ohne eine liberale Fraktion sein. Und genau das war der Grund, warum Westerwelle gehen mußte. Die Mehrheit seiner Parteifunktionäre und Abgeordneten war nicht mehr davon überzeugt, daß der Parteivorsitzende an frühere Ergebnisse anknüpfen und ihre Mandate würde sichern können. Der drohende Verlust der materiellen Existenz war der Grund dafür, daß sie Westerwelle davonjagten und nicht etwa eine verpaßte Chance auf Steuerreformen. Und Dankbarkeit ist ohnehin keine politische Kategorie.

Ein Problem der FDP besteht darin, daß ihre potentielle Wählerschar groß, die Befähigung ihres Personals aber nur klein ist. 2009 war die Flucht bürgerlicher Wähler von der Union zur Massenbewegung geworden. Die FDP profitierte mit ihren Rufen nach weniger Staat und Steuern und im Gegenzug mehr Selbstverantwortung davon. Sie konnte diese Wähler aufsaugen wie ein Schwamm das Wasser. Aber genauso wie der Schwamm das Wasser wieder verliert, schaffte es die FDP nicht, diese Wähler dauerhaft an sich zu binden. Der einzige nennenswerte Erfolg der Liberalen in der neuen bürgerlichen Koalition mit der Union war die Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungskosten. Das war eine angesichts des internationalen Wettbewerbsdrucks in der Hotelbranche sicherlich zu rechtfertigende Maßnahme. Aber als steuerpolitische Einzeltat ohne eine damit einhergehende Reform des Mehrwertsteuersystems geriet sie zum Beweis, wie lächerlich Politik werden kann, wenn sie maßgeblich von Amateuren gestaltet wird.

Dafür ist Westerwelle verantwortlich. Er besetzte wichtige Schaltstellen aller Partei- und Fraktionsebenen mit ihm vertrauten und ergebenen jungen Herren und einigen wenigen Damen wie Katja Suding in Hamburg. Erfahrene FDP-Politiker wie der frühere Vorsitzende Wolfgang Gerhardt und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fühlen sich inzwischen einsam in der eigenen Partei. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle war schon immer ein starker Außenseiter im eigenen Laden und hält sich trotz der bitteren Niederlage in Rheinland-Pfalz auch jetzt. Ansonsten ist die Generation der über 50jährigen in der FDP-Führung faktisch nicht mehr vorhanden.

Den Jungen fehlt die Erfahrung und das Gespür für Gefahren, die historische Dimensionen bekommen. So fiel der FDP als Teil der Regierung nicht auf, daß sich das Kanzleramt immer mehr Kompetenzen angelt und den Bundestag in Europafragen trotz eines für die Regierung beschämenden Verfassungsgerichtsurteils weiter übergeht. Befeuert von der intellektuell restlos überforderten, aber hochintriganten Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger betreibt die FDP die Umwandlung der Eurozone in eine Transferunion zugunsten europäischer Randstaaten mit und trägt damit die Mitverantwortung für die Verarmung des Landes, dessen Wohl zu mehren ihre Minister geschworen haben.

Es fiel der Rechtsstaatspartei FDP nicht weiter auf, daß die Regierung das Internet-Sperren-Gesetz und die Wehrpflicht aufhob, ohne gesetzliche Grundlagen dafür zu haben. So etwas geschieht sonst nur in autoritär regierten Ländern. Und als per Diktat aus dem Kanzleramt Atomkraftwerke ohne rechtliche Grundlage abzuschalten waren, setzte ausgerechnet die FDP als Partei, die für das Recht auf Eigentum steht, noch eins drauf und verlangte in Gestalt ihres Generalsekretärs und Westerwelle-Zöglings Christian Lindner (32) die endgültige Abschaltung der ältesten Atommeiler. Die zwar fest in der Homosexuellen-Szene von Berlin-Mitte, aber nicht mehr in der breiten Bevölkerung verwurzelte Partei und ihre Bundestagsfraktion wundern sich gerade, daß die Wähler intelligenter sind als angenommen und wieder in Scharen flüchten – sogar bis zu den Grünen, wie die Landtagswahl in Baden-Württemberg gezeigt hat.

Jetzt soll ein Häuflein junger Männer die Partei von Theodor Heuss und Thomas Dehler retten. Westerwelle fällt der Abschied leicht, „weil eine ganze Anzahl von jungen Persönlichkeiten bereitsteht, auch in die Führung der Partei aufzurücken und die Führung der FDP zu übernehmen“ und weil er Außenminister bleiben kann. Der vielgelobte Gesundheitsminister Rösler (38) machte bisher nicht den Eindruck, als Minister besonders sattelfest zu sein. In seinem Ressort wirkte er vom ersten Tag gegen eine mächtige Pharma- und Ärztelobby hilflos. „Der intellektuelle Haudrauf“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) Christian Lindner beschloß, Politiker zu werden, nachdem seine Selbstständigkeitspläne in der Pleite geendet waren. Ob ihn das unbedingt qualifiziert, die sieche Partei als Generalsekretär gesunden zu lassen, bleibt dahingestellt. Andere stehen als Reservespieler bereit: Von Daniel Bahr (34), einem späten Erben des einst von Jürgen Möllemann geführten und heute verrottenden Landesverbandes Nord-rhein-Westfalen der FDP, weiß man ebenso wie von Florian Toncar (31) aus Baden-Württemberg nur, daß sie Karriere machen wollen. Was sie wirklich wollen, weiß man nicht.

Helmut Kohl hat immer davon abgeraten, der FDP das Totenglöcklein zu läuten. Der Kanzler der Einheit glaubte, daß sich immer genügend Wähler für eine liberale Partei finden würden. Daß diese liberale Partei ihre Grundsätze aufgeben und sich im Nebel der Beliebigkeit verlieren könnte, konnte Kohl nicht ahnen.

Foto: Guido Westerwelles Macht ist zerbröselt: Angst der Bundestagsabgeordneten vor dem Verlust der materiellen Existenz

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