© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

„Wir sind für korrekte Politik“
Integration: Ein Jahr nach ihrer Gründung wartet die von Moslems gegründete Einwandererpartei BIG auf ihren Durchbruch
Ansgar Lange

Vor einem Jahr passierte etwas, was Beobachter des politischen Systems in Deutschland schon lange erwartet hatten. Unter dem griffigen Kürzel „BIG“ („Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“) gründete sich eine nach Meinung von Experten durchaus ernstzunehmende „Migrantenpartei“. Doch auch diese Gruppierung mußte schnell erkennen, was es bedeutet, gegen ein festgefügtes Parteiensystem anzutreten. Was ist aus dieser politischen Gruppierung geworden? Dieser Frage geht der Essener CDU-Politiker Thomas Kufen, von 2005 bis 2010 Integrationsbeauftragter der Düsseldorfer Landesregierung, jetzt in einer Studie für die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) nach.

Im März 2010 hat eine Gruppe von deutschen Muslimen die Partei in Köln gegründet. Auch wenn die Formation bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im Mai 2010 nur etwas weniger als 14.000 (0,18 Prozent) der über sieben Millionen abgegebenen gültigen Wählerstimmen erhielt, ist sich Kufen sicher: Diese Partei wird keine Momentaufnahme bleiben. Doch auch bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg im Februar 2011 fiel der Erfolg für einen BIG-Ableger eher spärlich aus. Mit rund 3.000 Stimmen (0,1 Prozent) landete die Gruppe auf dem letzten Platz. In diesem Jahr versucht die BIG noch bei den Landtagswahlen in Bremen und Berlin und bei der Kommunalwahl in Niedersachsen ihr Glück.

Auch wenn die BIG den Anspruch erhebt, eine Partei „für alle“ zu sein, ist sie fast ausschließlich von Muslimen gegründet worden, die sich von den etablierten Parteien geringgeschätzt fühlten oder angeblich schlechte Erfahrungen mit der CDU und der SPD gemacht haben. Die BIG-Vertreter in den kommunalen Parlamenten sind alle türkischstämmig. Ihr Vorwurf: Man rede in den anderen Parteien nur über und nicht mit Migranten.

Laut Kufen ist die Partei aus verschiedenen lokalen Wählerinitiativen hervorgegangen. Hier sind vor allem das Bündnis für Frieden und Fairneß (BFF) in Bonn und die Bürgerinitiative Gelsenkirchen (BIG) zu nennen. Nach eigenen Angaben hat die BIG als Landes- und Bundespartei mittlerweile rund 400 Mitglieder und soll unter anderem in Aachen, Bonn, Duisburg, Düsseldorf, Köln, Leverkusen und weiteren kleineren Städten in NRW organisiert sein.

Doch wofür steht die Partei überhaupt? „Wir sind weder rechts noch links, sondern für korrekte Politik. Mit diesen Worten umschreibt der BIG-Vorsitzende Haluk Yildiz das Selbstverständnis seiner Partei. Diese doch eher vagen Aussagen lassen Zweifel an der inhaltlichen Substanz der Gruppierung aufkommen. „Das Programm der BIG beschränkt sich auf einige allgemeinverbindliche Aussagen und Forderungen, die so oder ähnlich auch in Programmen anderer Parteien, vor allem aber im linken Spektrum, zu finden sind“, so das KAS-Papier.

Frei nach dem Motto „Döner für alle“ tritt BIG für Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit, gegen eine weitere Verfestigung einer angeblichen Zwei-Schichten-Gesellschaft sowie die Trennung der Schüler nach der vierten Klasse ein. Unter dem Stichwort Integration verstehen BIG-Vordenker die „Beibehaltung der kulturellen Identität aller Minderheiten“, die doppelte Staatsbürgerschaft für alle, die Erleichterung von Einbürgerung und Familienzusammenführung, das kommunale Wahlrecht für alle sowie eine interkulturelle Qualifizierung von Angestellten im öffentlichen Dienst. Der muslimische Hintergrund der Partei wird vor allem in dem klaren Bekenntnis zum „Zusammenschluß von Mann und Frau“ als auch in dem Ruf nach Alternativen zum „zinsbelasteten Wirtschaftssystem innerhalb der freien Marktwirtschaft“ deutlich.

Nennenswerte politische Initiativen der Muslim- oder Migranten-Partei sind bisher Mangelware. Die Gefahr besteht aber darin, daß eine Art „Speerspitze“ einer Minderheit gegen die (noch existierende) Mehrheit das politische System umwühlen könnte – nicht unbedingt zugunsten der deutschen Bürger. Der Wegfall der Fünfprozenthürde unter anderem bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen begünstige Gruppierungen wie die BIG, schreibt Kufen. Falls die etablierten Parteien keine Antwort darauf finden, wie sie die Migranten „einbinden“ können und falls die Frustration über die chaotischen Zustände in den sogenannten „Integrationsräten“ (in Remscheid mußte die Wahl wegen massiver Fehler und Fälschungen sogar wiederholt werden) weiter steigen sollte, könnte das Potential von Parteien wie der BIG ebenfalls wachsen. Schon gibt es in der CDU Stimmen, die fordern, darüber nachzudenken, ob die Partei ihre Wähler in Zukunft nicht auch bei konservativen Türken suchen sollte.

Das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit im Internet www.bignrw.de

Foto: Wahlplakat zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2009:  „Beibehaltung kultureller Identität“

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