© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Planlos in Brüssel
Libyen: Ohne klar definierte Strategie geht die Nato in ein militärisches Abenteuer
Michael Vollstedt

Vor der Entscheidung des Uno-Sicherheitsrates über eine Flugverbotszone in Libyen wurde nicht lange diskutiert, ob die bewaffnete Einmischung in den Bürgerkrieg zwischen Gaddafis Regime und den – in den Medien so bezeichneten – „Rebellen“ vernünftig ist. Mit Verabschiedung der Resolution 1973 vom 17. März dieses Jahres waren bei manchem deutschen Kommentator nicht nur letzte Zweifel verflogen, sondern es wurde uns sogar Scham nahegelegt, weil „wir“ nicht dabei sind – auch von einem ehemaligen hochrangigen General der Bundeswehr.

Für den vor allem von Frankreich und Amerika begonnenen, schließlich von der Nato übernommenen Angriff gegen Libyen gilt aber: Er muß einem stimmigen und realistischen sicherheitspolitischen Plan folgen, dessen militärische Anteile nicht losgelöst von den politischen und völkerrechtlichen zu sehen sind. So ist zu fragen: Inwieweit kommen innenpolitische und wirtschaftliche Interessen westlicher Staaten zum Tragen; warum gibt es politisch-deklaratorische Unterstützung von afrikanischer und arabischer Seite, aber keine offene militärische Beteiligung; warum haben sich China und Rußland im Sicherheitsrat der Stimme enthalten und den Westen „machen lassen“; darf dieser Bürgerkrieg durch die Nato militärisch entschieden werden; kann die Beseitigung von Diktatoren ein Ziel westlicher Sicherheitspolitik sein, wo endet das? 

Viele, wenn nicht die meisten der in der Uno vertretenen Nationen sehen in Gaddafi den legitimen Machthaber seines Landes, und es ist zu befürchten, daß der Einsatz der Nato-Streitkräfte später in bekannter Manier – Legendenbildung eingeschlossen – als westliche Hegemonialpolitik gebrandmarkt wird. Deshalb kam und kommt es bei der militärischen Umsetzung von Resolution 1973 nicht allein auf deren Wortlaut, sondern vor allem auf den erklärten Zweck des militärischen Eingreifens an. Die Resolution erlaubt nicht nur die Durchsetzung einer Flugverbotszone – also die Bekämpfung von Flugzeugen, Flugplätzen, Führungs- und Logistikeinrichtungen der  Luftstreitkräfte Gaddafis –, sondern darüber hinaus begrenzte Einsätze gegen die ganze libysche Armee.

Ihr  Zweck ist eindeutig: Es geht um den Schutz der Zivilbevölkerung vor unterschiedslosen oder direkt gegen sie gerichteten Angriffen des Regimes. Dazu war die  Ausschaltung der libyschen Luftstreitkräfte für die weit überlegenen Kräfte der Nato-Nationen eine schnell lösbare Aufgabe von wenigen Tagen. Allerdings konnte von vornherein nicht gewährleistet werden, daß die Landstreitkräfte der libyschen Armee einerseits, „Rebellen“ und Zivilbevölkerung andererseits klar unterscheidbar bleiben.

Für die Durchsetzung des humanitären Zwecks mangelt es jetzt an Zielen, die aus der Luft bekämpfbar sind, denn Gaddafis Bodentruppen haben sich mit den Aufständischen und der Bevölkerung verzahnt. Damit ist die Resolution 1973 in den Städten nicht mit genügender Sicherheit für die Bevölkerung umsetzbar – es sei denn mit Landstreitkräften, deren Einsatz  die Resolution jedoch verbietet. Es war also nicht nur wegen der libyschen Luftstreitkräfte nötig, schnell zu handeln. Man hätte auch den Landstreitkräften bei ihrer Offensive gegen die Städte zuvorkommen müssen. Nato oder EU waren dazu nicht in der Lage und werden dies auch künftig nicht sein; ihre Entscheidungsmechanismen haben sich oft bewährt, nicht aber in der Sofortreaktion auf eine Krise. Die Vereinigten Staaten – wenn auch kurzzeitig überholt von Frankreich und nur teilweise erfolgreich – mußten wieder einmal ran. Daß sie es nötigenfalls erneut tun, darauf müssen wir vertrauen; dies gehört nicht erst seit dem Fall Libyen zum sicherheitspolitischen Allgemeingut.

Die libysche Armee mußte die Städte verlassen, um die „Rebellen“ in der Wüste nach Osten zurückzudrängen. Angesichts der Desorganisation, der schwachen Ausrüstung und des unzureichenden Ausbildungsstandes der Aufständischen könnte sie die Oberhand behalten; ob bis Bengasi oder irgendwo davor, ist mit offenen Quellen nicht zu beurteilen. Letztlich könnte beiden Seiten der Nachschub für die notwendige militärische Offensive ausgehen. Welche Folgen das hätte, ist in diesen Tagen noch nicht abzuschätzen – eine Rückverlagerung der Repression in die Städte, mit Geheimpolizei und Säuberungen? Lang anhaltender Guerillakrieg, Ökokrieg um die Erdöl- und Erdgasvorkommen, Einsickern ausländischer Kräfte, verstärkte Migration?

Die Versuchung ist groß, die Rebellen von außen zu unterstützen, wie es etwa Ägypten tut, und  im nächsten Schritt offen zu verstärken, schließlich die Gaddafi-Truppen außerhalb der Städte anzugreifen und so die militärische Entscheidung zu suchen. Solche Politik hätte keine guten Folgen für den Westen und seine Glaubwürdigkeit, für das Funktionieren des Sicherheitsrates in der Zukunft oder für die gemäßigten Kräfte in islamischen Staaten Afrikas und Arabiens. Und wenn der Bürgerkrieg mit dem Sieg der „Rebellen“ enden sollte, hätten wir dann die kooperativen Partner gewonnen, für die sich dieser Nato-Einsatz gelohnt hat?

 

Generalmajor a.D. Michael Vollstedt diente als Regiments- und Divisionskommandeur sowie im Nato-Hauptquartier in Brüssel.

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