© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Unsere maritimen Interessen sind viel größer als bekannt
Vom „Anteil an der See“: Eindrücke von einer hochkarätig besetzten Tagun des Deutschen Marine-Instituts
Oliver Busch

Wer keinen Anteil an der See hat, der ist ausgeschlossen von den guten Dingen und Ehren der Welt – der ist unseres Herrgottes Stiefkind.“ Das klingt nach Großadmiral Tirpitz oder dem „Flotten-Kaiser“ Wilhelm II. Doch ist der Satz älter und stammt vom Prediger der wirtschaftlichen Reichseinheit, dem Nationalökonomen Friedrich List (1789–1846). Wer nicht weiß, daß List als politischer Flüchtling lange in den USA, einer aufsteigenden Handels- und Seemacht, gelebt hat, dürfte diesem schwäbischen Binnenländer eine so tiefe Einsicht in die welthistorische Bedeutung der „See“ kaum zutrauen.

Noch weniger zugetraut hätte man Vizeadmiral Axel Schimpf eine emphatische Verwendung des List-Zitats. Denn der Inspekteur der Marine wirkte während der unglücklichen „Gorch-Fock-Affäre“ eher wie ein subalterner Vollzugsbeamter denn als geistig souveräne Führungsfigur der Deutschen Marine. Doch gerade als über der „Gorch Fock“ dunkle Wolken aufzogen, lernten die Teilnehmer der vom Deutschen Marine-Institut ausgerichteten „Maritime Convention 2010“ einen anderen Schimpf kennen.

Auf der hochkarätig besetzten Konferenz, auf der der Verband Deutscher Reeder ebenso vertreten war wie die Royal Navy, hatte der Vizeadmiral ein Hauptreferat zum Thema „Deutschlands maritime Interessen“ übernommen. Wie der Tagungsbericht Jürgen Kratzmanns, des Chefredakteurs von Marine Forum, dokumentiert (Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, 1/2011), wartete Schimpf mit einer strategischen Lageanalyse auf, die in ungewöhnlich deutlicher Form die maritimen Herausforderungen konturiert, denen sich Deutschland und Europa heute schon stellen müssen.

Schimpf nahm seinen Ausgang von einigen harten Fakten, die das öffentliche Bewußtsein gewöhnlich ignoriert. So sei Deutschland einer der „größten und erfolgreichsten Schiffahrtsstandorte“, verfüge über die drittgrößte Handelsflotte der Welt, liege bei den Containerschiffen sogar mit weitem Abstand auf dem ersten Platz. Nicht von ungefähr genieße die deutsche Handelsflotte Verfassungsrang, wie man im Artikel 27 des Grundgesetzes nachlesen kann. Die Werft- und Schiffbauindustrie behaupte trotz chronischer Krise weiter ihre Spitzenposition. Im Spezialschiffbau glänze sie als weltweiter Marktführer. In der ersten Liga spielen auch die „Hightechbranchen“ Meeresforschung und Meerestechnik, die mit enormem Wachstumspotential der deutschen Wirtschaft Aufträge versprechen. Selbst in Brüssel habe man, wie dem „Blaubuch“ der EU (2008) zu entnehmen sei, inzwischen die zentrale Bedeutung der Weltmeere für den Wohlstand des alten Kontinents verstanden. Mit der Vervierfachung des Welthandels seit 1970 nahm aber auch die Unsicherheit auf den Seewegen zu. „Maritime Sicherheitsvorsorge“ müsse daher dieser Bedrohung genauso gerecht werden wie Umwelt- und Naturkatastrophen. Die Marine müsse also so „aufgestellt“ werden, „daß unter Nutzung der See als Rollbahn, Aufmarsch- und Operationsgebiet weltweites Handeln möglich ist“.

Ob man dies in Berlin politisch begriffen habe, daran ließ Schimpf Zweifel durchaus zu. Denn die auf der Tagung gleichfalls von einem französischen und einem britischen Admiral skizzierte „intensivierte Zusammenarbeit“ der Seestreitkräfte der alten „Entente cordiale“ verstärke, so Kratzmann, den Eindruck einer „Entwicklung hin zu einem Kern einer tiefergehenden europäischen Allianz, in der Deutschland – allem Anschein nach – keine ausgeprägte Rolle mehr spielt“. In diesen Tagen demonstriert der Aufmarsch der Royal Navy, der französischen Marine und der US-Mittelmeerflotte vor Libyens Küste in der Großen Syrte, wie zutreffend Kratzmanns Eindruck über Deutschlands „Anteil an der See“ wirklich ist. www.marineforum.info www.zfas.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen