© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Der letzte große Preuße
Frank-Lothar Kroll widmet sich dem Historiker Hans-Joachim Schoeps und dessen Einsatz für eine preußische Renaissance
Harald Seubert

Zu den herausragenden Gestalten des Konservatismus im 20. Jahrhundert gehört unstrittig Hans-Joachim Schoeps, Preuße und Jude par confession. In Erlangen hatte Schoeps seit 1947 einen einzigartigen Lehrstuhl für Religions- und Geistesgeschichte inne, der nach seiner Emeritierung unter – teils entwürdigenden und Schoeps zutiefst kränkenden – Bedingungen aufgelassen wurde. Als hoch renommierter Preußenhistoriker, der zugleich wesentlich ideengeschichtlich arbeitet, hat der Chemnitzer Historiker Frank-Lothar Kroll eine besondere Affinität zu
Schoeps. Sie ist in einer Reihe herausragender Publikationen dokumentiert. Sein hier anzuzeigendes Buch ging aus einem Zentenariumsvortrag vor der von Schoeps begründeten „Gesellschaft für Geistesgeschichte“ hervor.

Kroll zeichnet in wenigen souveränen Strichen die preußisch-jüdische Symbiose in Schoeps’ Leben und Denken vor 1933 nach, das zu der dramatischen Position führte, noch 1933 nationalgesinnten Juden den Verbleib in Deutschland anzuraten. Beeindruckend scharf arbeitet Kroll heraus, daß Schoeps’ Sicht auf Preußen vor allem von dem „anderen“, geistigen Preußen um Friedrich Wilhelm IV. und Persönlichkeiten wie Leopold von Gerlach, Heinrich Leo oder Friedrich Julius Stahl geprägt war. Damit verstärkte sich seine Außenseiterposition selbst gegenüber nahestehenden Preußenhistorikern wie Walther Hubatsch. Obwohl Schoeps’ überaus erfolgreiches Preußenbuch auch das friderizianische Preußen eindrucksvoll nachzeichnet, obwohl er „Bismarck im Urteil seiner Zeitgenossen“ eine wichtige Monographie widmete, ist es jenes andere, geistige Preußen, vor allem aber, im Anschluß an Spengler, der preußische konservative Sozialismus, von „Männern und Gruppen (...), die rechts gedacht und links gehandelt haben“, denen sich Schoeps verpflichtet weiß. Hierzu gehörte eine Politik innerer Kraft und äußeren Verzichts, die nicht primär auf die nationale Einung zielt.

Für Schoeps war Preußen keineswegs nur der bevorzugte wissenschaftliche Gegenstand. Es war auch eine bleibende Idee, der er geschichtspolitisch Aktualität sichern wollte. Dies zeigte sich bereits 1951 mit der Rede „Die Ehre Preußens“ am 18. Januar zum 250. Jahrestag der preußischen Königserhebung. Sie machte Schoeps schlagartig deutschlandweit bekannt und war bereits wenige Wochen später in 10.000 Exemplaren verkauft. Systematisch unternahm Schoeps dann in der Folgezeit politische Vorstöße zu einer dynastischen Wiederherstellung der Monarchie – in strategischen Planspielen, einer fulminanten Vortragstätigkeit und in einem Rechtsgutachten des mit ihm seit jugendbewegten Zeiten befreundeten Ernst Rudolf Huber.

Mit einer bloßen „Renovatio“ sei es nicht getan, es bedürfe einer neuen verfassungsrechtlichen Formgebung, so Huber. Hinsichtlich der unmittelbaren Erfolgsaussichten seines Vorstoßes kamen Schoeps unter diesen Umständen zunehmend Zweifel, auch weil der Thronprätendent Louis Ferdinand sich selbst im Hintergrund hielt. Maßgebliche Vertreter der westdeutschen Politik sahen zudem in Schoeps’ preußischer Karte eine Gefährdung der jungen Demokratie. Ein ausgefeiltes Preußen-Manuskript aus der Feder von Schoeps für die Offiziersausbildung blieb auf Geheiß des Verteidigungsministers Helmut Schmidt ungedruckt. Es wurde die Keimzelle des späteren Preußenbuches.

Die Politik trat dann, wie Kroll zeigt,  für eineinhalb Jahrzehnte in den Hintergrund, öffentliche Publizistik und eine rege Vortragstätigkeit setzten sich fort. Ende der sechziger Jahre wurde die „konservative Erneuerung“ und das Erbe Preußens für Schoeps zum Imperativ der Bewahrung einer jeden bleibenden staatlichen Form: im Zeichen „obrigkeitlicher Autorität und institutioneller Festigkeit“. Die wahnwitzigen 68er-Verunglimpfungen als „Nazi-Jude“, „jüdischer Obersturmbannführer“ kränkten Schoeps nicht nur im Innersten, sie unterminierten auch seine Gesundheit. 

Schoeps’ preußisches Erbe ist, wie Kroll differenziert darlegt, ambivalent: Die preußische Idee hat dauerhaften Bestand, im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und Toleranzgesinnung; das Plädoyer für die Monarchie mußte in der Praxis scheitern. In der Sache wird man es keineswegs vorschnell als absurd abtun können. Wenn es auch nach 1989 nicht zu der von Schoeps gewünschten und erwarteten Wiederkehr Preußens kam, wenn Preußen, wie Kroll illusionslos schließt, Nachlebenden vielleicht bald so fern gerückt sein wird wie die Herzöge von Burgund oder die Königsmythen von Mesopotamien, so bleibt doch auch das Votum Carl Schmitts in einem Brief an Schoeps (13. September 1951) zu bedenken: „Aber ein Staat stirbt nicht so schnell, und in manchen Menschen lebt er weiter (...) und da die Leichen heute nicht mehr begraben werden, sondern die Asche in die Luft gestreut wird, so bleibt die Atmosphäre voll von seltsamen und unerwarteten Formen des Weiterlebens.“

Frank-Lothar Krolls Buch ist eine glänzende Metamorphose dieses Weiterlebens. Es besticht nicht zuletzt durch einen heute unforcierten elaborierten Stil auf der Höhe deutscher Literatur, in hoher Reflektiertheit und ohne alle Plastik- und Clusterwörter. Besonders nimmt das Buch durch die genauen Quellenbelege für sich ein und durch einen Anhang, der einige der wesentlichsten Initiativen im Spannungsfeld von Schoeps’ preußischer Frage erstmals ausführlich im Wortlaut dokumentiert.

Frank-Lothar Kroll: Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen. Duncker & Humblot, Berlin 2010, broschiert, 144 Seiten, 24 Euro

Foto: Hans-Joachim Schoeps (1909–1980): „Aber ein Staat stirbt nicht so schnell, und in manchen Menschen lebt er weiter“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen