© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Frische Klassiker
Originale und Neuverfilmungen: Erich Kästner auf DVD
Werner Olles

Kein Geringerer als Billy Wilder verfaßte 1931 das Drehbuch zu der ersten Verfilmung von Erich Kästners wohl berühmtestem Kinder-Roman „Emil und die Detektive“. Die Geschichte des kleinen Emil Tischbein, dem auf der Reise nach Berlin das von seiner Mutter sorgsam gesparte und für die Großmutter bestimmte Geld gestohlen wird, inszenierte – in Dramaturgie und Bildgestaltung noch ganz dem Stummfilm verhaftet – Gerhard Lamprecht, dessen Karriere 1923 mit der ersten Verfilmung von Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ begann, und der in den 1930er und 1940er Jahren zu den bekanntesten deutschen Regisseuren zählte.

Mit „Emil und die Detektive“, seinem dritten Film, lieferte er ein fesselndes Stück Filmgeschichte ab, das die erfrischende Abenteuerlichkeit des Romans durchaus einfängt und darüber hinaus vor allem durch die authentischen Bilder aus dem Berlin der frühen dreißiger Jahre fasziniert. Mit Fritz Rasp als Dieb, Käthe Haack in der Rolle von Emils Mutter und Rolf Wenkhaus als Emil glänzend besetzt, ist dieser Klassiker, der auch achtzig Jahre später kaum etwas an Frische eingebüßt hat und zudem in Bild und Ton neu überarbeitet wurde, nun in einer Reihe von Kästner-Verfilmungen auf DVD erschienen.

Gleichzeitig mit dem Original von 1931 ist auch die colorierte Neuverfilmung aus dem Jahre 1954 mit neu überarbeitetem Bild erschienen. Zwar veränderte Drehbuchautor und Regisseur Robert A. Stemmle den Entwurf von Wilder leicht, doch unterhaltsam ist auch dieses Remake mit seinen reizvollen Stimmungsbildern aus dem Berlin der fünfziger Jahre allemal.

Formal und thematisch lehnt sich die Neuverfilmung an die erzählerischen Konventionen des westdeutschen Nachkriegskinos an, doch der Geschichte um Emil (Peter Finkbeiner), der seine Ferien bei der Großmutter (Margarethe Haagen) in Berlin verbringen darf, dabei auf der Zugfahrt den freundlichen Herrn Grundeis (Kurt Meisel) kennenlernt und bei seiner Ankunft bemerkt, daß sein ganzes Geld gestohlen wurde, tut dies keinen Abbruch. Wie sich Emil gemeinsam mit seinem Freund Gustav mit der Hupe (Wolfgang Condrus), seiner Cousine Pony Hütchen (Claudia Schäfer) und den übrigen Detektiven an die Fersen von Herrn Grundeis heftet, um sein Geld zurückzubekommen, das ist immer noch sehenswert und vermittelt uns ganz nebenbei ein kleines und liebenswertes Stück Zeitgeschichte.

Ebenfalls aus dem Jahr 1954 stammt Kurt Hoffmanns vergnügliche und warmherzige Verfilmung von Kästners Kinderroman „Das fliegende Klassenzimmer“. Der Autor schrieb nicht nur das Drehbuch, das sich genauestens an die Vorlage hält, er spielt auch sich selbst und ist der Erzähler im Film. Die Tertianer eines Internats haben neben ihrer Privatfehde mit den gleichaltrigen Realschülern des Städtchens auch ganz vernünftige Ideen: Sie erneuern den Kontakt zwischen ihrem bewunderten und patenten Klassenlehrer Dr. Johann Bökh (Paul Dahlke), genannt Justus und dessen Jugendfreund, dem „Nichtraucher“ (Paul Klinger), einem durch Schicksalsschläge zum verbitterten Einzelgänger gewordenen Mediziner, der unweit des Internats einsam und unerkannt in einem Eisenbahnwaggon lebt. Zwischendurch haben sie aber noch genügend Zeit für die verrücktesten Streiche, die schließlich in einer wilden Schlacht mit den Realschülern gipfeln, nachdem diese den Gymnasiasten die Aufsatzhefte gestohlen und verbrannt haben.

Neben den Fünfziger-Jahre-Stars Dahlke und Klinger ist „Das fliegende Klassenzimmer“ auch in den Nebenrollen mit Erich Ponto als Sanitätsrat Dr. Hartwig, Bruno Hübner als Professor Kreuzkamm, Heliane Bei als Schwester Beate sowie Peter Vogel und Peter Kraus als Oberschüler vorzüglich besetzt. Mit Friedl Behn-Grund sorgte zudem einer der besten Kameramänner des deutschen Nachkriegsfilms für fotografische und atmosphärische Details, die man heute oft genug vergebens sucht.

Als vollkommen überflüssig muß man leider die gleichnamige modernisierte Neuverfilmung von 1973 bezeichnen. Werner Jacobs schwacher Inszenierung des klassischen Kinderromans gelingt es nicht, die einmalige Atmosphäre des Originals einzufangen, der geglättete und vergröbernde Stoff verfehlt die Mentalität der Vorlage in jeder Weise. Oberflächlich wird die dem Original innewohnende romantische Utopie von allzu dick aufgetragenen äußerlichen Turbulenzen dabei in den Hintergrund gedrängt. Ein ebenso ärgerlicher wie mißlungener Versuch, dem Unterhaltungsbedürfnis der siebziger Jahre-„Kids“ entgegenzukommen.

DVD: Emil und die Detektive (1931). MFA/Universum Film 2011, Laufzeit: ca. 69 Minuten

DVD: Emil und die Detektive (1954). MFA/Universum Film 2011, Laufzeit: ca. 90 Minuten

DVD: Das fliegende Klassenzimmer (1954). MFA/Universum Film 2011, Laufzeit: ca. 88 Minuten

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