© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Einfach mal darüber reden
Integration: Eine Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing setzt sich (fast) in aller Ruhe mit den Thesen von Thilo Sarrazin auseinander
Fabian Schmidt-Ahmad

Wer die im Fernsehen präsentierten Gesprächsrunden über Islam und Integration verfolgt, die an Gleichschaltung nichts zu wünschen übriglassen, der kommt leicht ins Träumen: Was wäre, wenn ein Gegner Thilo Sarrazins seine Vorwürfe in einem fairen Streitgespräch verteidigt? Was wäre, wenn ein Islamfunktionär wie Benjamin Idriz von der Islamischen Gemeinde Penzberg, deren Nähe zu Milli Görüs einen Stammplatz im Verfassungsschutzbericht sichert, mit einer Frauenrechtlerin und unorthodoxen Muslima wie Lale Akgün diskutiert? Und dazwischen, als Stachel im Fleisch, ein scharfzüngiger Henryk M. Broder?

Was bisher ein Gedankenspiel blieb, wurde vergangenes Wochenende in der Evangelischen Akademie Tutzing verwirklicht. Es war der Ehrgeiz der Tagungsleiter, möglichst offen der Frage nachzugehen: „Der Islam gehört zu Deutschland – schafft sich Deutschland dadurch ab?“ Menschen wie der türkische Unternehmer Vural Öger (SPD), der CDU-Auslandsexperte Ruprecht Polenz, SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy und andere waren dieser Einladung gefolgt.

Im Zentrum stand der Auftritt des Bestsellerautors. In knappen Zügen umriß Sarrazin die Kernpunkte seiner Thesen: eine fatale Verbindung von eingebrochener Geburtenzahl, Masseneinwanderung islamischer Unterschichten und einem Sozialstaat, der die existenzbedrohenden Verhältnisse festigt und wie ein Treibhaus beschleunigt: „Mit Arbeitslosigkeit läßt sich in Deutschland ein höherer Lebensstandard erreichen als mit Arbeit in der Türkei.“

Es waren wohl Sätze wie dieser, die der ehemalige Reiseunternehmer Öger später als Beleidigung bezeichnete. Sarrazin warf er vor, durch seine Kritik nur zerstört und nichts erreicht zu haben. Nun, 2004 machte Öger auf sich aufmerksam, als ihn die Hürriyet mit dem Satz zitierte: „Das, was Kamuni Sultan Süleyman 1529 mit der Belagerung Wiens begonnen hat, werden wir über die Einwohner, mit unseren kräftigen Männern und gesunden Frauen verwirklichen.“ Später erklärte Öger, dies sei als aufrüttelnde Provokation zu verstehen und wies auf die niedrige Geburtenrate deutscher Frauen hin. Könnte es sein, daß der Sohn eines türkischen Offiziers, der für sich eine islamische Identität ablehnt, vielleicht Sarrazins Thesen näher steht, als er es wahrhaben will?

Man wird an den Ausspruch von Focus-Redakteur Michael Klonovsky erinnert: „Daß sich ausgerechnet erfolgreiche und hierzulande heimische Türken (…) über Sarrazin mokieren, obwohl er sie nun explizit gerade nicht gemeint hat, zeigt sehr gut, daß diese Leute in ihrer Mentalität tatsächlich brave Deutsche geworden sind.“ Der Umfrageforscher Holger Liljeberg wies jedenfalls in seinem Beitrag darauf hin, daß Sarrazins Thesen von immerhin siebzehn Prozent der deutschen Muslime geteilt werden. Offensichtlich ein Bruch innerhalb der Gruppe, denn einerseits seien es „29 Prozent der nichttürkischen Muslime, die ihre eigene Religion für nicht friedfertig halten“, andererseits wünscht sich ein Drittel, „daß in Deutschland irgendwann mehr Muslime als Christen wohnen“.

Und wie sieht Sarrazin die Dinge? Zwar sei das im Buch vorgestellte Szenario nur die Fortschreibung herrschender Trends, doch eindringlich warnte er vor Leichtfertigkeit. Die Demographie sei von allen Prognosen die zuverlässigste. So habe man vor sechzig Jahren die heutige Weltbevölkerungszahl mit geringer Abweichung genau schätzen können.

Zwar erfreut sich Sarrazin durch seine provokanten Thesen allgemeiner Unbeliebtheit im politischen Establishment, doch gab die Tagungsleitung offen zu, daß sie erhebliche Schwierigkeiten hatte, einen Gegner für das anschließende Streitgespräch zu beschaffen. Die Aufgabe übernahm schließlich der Sozialdemokrat und Präsident des Pen-Klubs Johano Strasser: „Ich habe mich gegen den Rat von guten Freunden auf die Diskussion eingelassen, da ich glaube, daß Diskussion immer besser ist als Ausgrenzung.“

Allerdings ging Strasser nicht auf den mit Fakten gesättigten Vortrag ein, sondern kritisierte Sarrazins Menschenbild, welches den Menschen angeblich auf die Eugenik reduziere: „Es ist trostlos und nicht mit den Grundlagen unserer Demokratie vereinbar.“ Da war in Folge viel von „viktorianischem Dünkel“ und „Nützlichkeitsdenken“ die Rede. Aber Strasser sah noch Hoffnung: „Wenn ich von dir hören würde, lieber Thilo, daß du das eigentlich nicht so gemeint hast, und es zurücknehmen würdest, dann hätten wir eine gemeinsame Basis, auf der wir über alle Probleme freundschaftlich und friedlich reden können.“

Doch der „liebe Thilo“ wollte nicht. Stattdessen kommentierte er den Vorwurf einer eugenetischen Selektion damit, daß die größte Selektion in Deutschland durch die pränatale Abtreibung erfolge – ermöglicht von Sozialdemokraten. Kritik an Strassers Auftritt „mit der Attitüde des Selbstopfers“ gab es von Broder: „Ich hoffe, ihre ‘guten Freunde’ denken jetzt nicht allzu schlecht von Ihnen.“ Eine Debatte wie diese sei kein „Fortschritt“, sondern „eine schlichte Selbstverständlichkeit“.

Wie zuvor Sarrazin betonte Broder, daß in auffallender Weise nur die muslimische Einwanderergruppe Probleme bereitet. „Ich mache den Moslems übrigens keinen Vorwurf. Es hat sich ja inzwischen um die Integrationsfrage eine enorme Industrie entwickelt. Und diese Industrie muß natürlich gefüttert werden.“ Allerdings warf Broder Islamfunktionären ein doppeltes Spiel vor. Wenn es darum gehe, Sonderrechte für sich zu reklamieren, bilde man eine geschlossene Einheit. Wird dagegen auf die Auswüchse des Islams hingewiesen, distanziere man sich mit dem Hinweis, daß es „den“ Islam gar nicht gebe: „Die Moslems müssen es sich schon aussuchen: entweder, sie treten als eine ethnische, kulturelle Einheit auf, oder eben nicht. Und es geht einfach nicht, daß sie – je nach Bedarf – mal dies sind und mal das.“ Wie eine Illustration wirkte da der Auftritt des Zentralratsvorsitzenden der Muslime, Aiman Mazyek.

Mit zitternder Stimme begann Mazyek seinen Beitrag mit der wachsenden Islamfeindlichkeit in Deutschland. Man erfuhr, daß wohl nicht Kirchen in islamischen Ländern, sondern die hiesigen Moscheen täglich Zielscheiben von Terror sind. „Beispielsweise letzte Woche, da hatten wir drei Tote und 19 Verletzte zu beklagen“, stieß Mazyek mit Blick auf die Brandstiftung in einem Wohnhaus in Berlin-Neukölln aus, um sich dann anklagend ans peinlich berührte Publikum zu richten: „Ich frage Sie, haben Sie etwas mitbekommen?“ Was Mazyek verschwieg: Bislang liegt bei dem tragischen Ereignis noch nicht einmal der Anfangsverdacht eines fremden-, geschweige denn islamfeindlichen Motivs vor.

Geht Mazyek großzügig mit Unterstellungen um, so reagierte er umgekehrt dünnhäutig auf Vorwürfe aus dem Publikum. Christenverfolgung, Zwangsheiraten, Steinigung – alles nicht sein Problem. „Das ist unislamisch“ war die stereotype Antwort und: „Was haben wir damit zu tun?“ Bitter beklagte er sich über das Mißtrauen, welches ihm entgegenschlage. Was könne er denn sonst noch tun? Vielleicht die Auswüchse des Islams nicht ständig als „unislamisch“ zu deklarieren, sondern sie als sein problematisches Erbe zu betrachten, das selbstkritisch hinterfragt werden muß?

Wie das geht, zeigte Akgün. Sie skizzierte einen „Euro-Islam“, den sie in Zusammenarbeit mit einer muslimischen Theologin herausgearbeitet hatte. Das Ergebnis verblüffte Publikum wie Islamfunktionär Idriz gleichermaßen. Doch für die größte Überraschung sorgte Idriz selbst. Der belesene Imam, dessen Gemeinde laut Bayerischem Verfassungsschutzbericht als Teil der Moslembruderschaft gilt, sprach sich für eine historisch-kritische Lesart des Korans aus. Ist doch die verstandesmäßige Erfassung religiöser Texte genau die Kluft, welche Europa von der äußeren „Rechtleitung“ der islamischen Welt unterscheidet. Sollte sich Idriz wirklich auf dieses Abenteuer einlassen, kann man nur hoffen, daß die einzige Reaktion ausbleibende Gelder aus Nahost sein werden.

Und der Rest? Wenig Verständnis zeigte Edathy für die Sorgen der Deutschen. Als Bonmot gab der indisch-stämmige Politiker zum besten, daß seine Großeltern auch zwangsverheiratet wurden – die seiner deutschen Mutter. Es habe sich durch die Lage zweier Bauerngehöfte so ergeben. „Das sollte man sich auch mal vor Augen halten.“ Kennt der Soziologe nicht den Unterschied zwischen freiwillig arrangierten und Zwangsehen?

Übertroffen wurde die blasierte Weltfremdheit nur noch von Polenz, der immerhin zugab, daß die „Integrationslasten“ wohl eher nicht in seinem Lebensumfeld getragen werden. Das hinderte ihn aber nicht, den betroffenen Deutschen allerlei Ratschläge und Ermahnungen mit auf den Weg zu geben. Wie die, andere von der Friedfertigkeit des Islams zu überzeugen. Womit er nicht ganz unrecht hat, denn Moslems scheinen dazu unfähig – die einen wollen nicht und die anderen können nicht.

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