© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

„Schlagartig entzündet“
Was entscheidet die Wahlen im Südwesten wirklich? Der Landespolitiker und einstige grüne Querdenker Oswald Metzger macht heute für die CDU Wahlkampf. Doch am Sonntag hält er den GAU für möglich.
Moritz Schwarz

Herr Metzger, sind die Wahlen am Sonntag noch Landtagswahlen oder ist das die deutsche Volksabstimmung über die Atomkraft?

Metzger: Es ist gut möglich, daß die Mobilisierung durch Oppositionsthemen – zu denen seit Fukushima vor allem die Atomkraft gehört – den entscheidenden Schub bringt, um in Baden-Württemberg Schwarz-Gelb scheitern zu lassen. Aber das zur „Volksabstimmung“ in Sachen Atomstrom zu erklären, halte ich für eine Überhöhung.

„Machtverlust für die CDU wegen Atom-Debatte“ schlagzeilt etwa die „Bild“.

Metzger: Warten Sie mal die Wahlbeteiligung am Sonntag ab! Angesichts der zunehmenden Wahlabstinenz vieler Bürgerinnen und Bürger ist für mich der Begriff Volksabstimmung in diesem Zusammenhang eher fragwürdig. Und was den möglichen Machtverlust angeht: Da sehe ich eine viel grundsätzlichere Entwicklung am Werk.

Aber Stefan Mappus ist in Sachen Laufzeitverlängerung der Matador der Union!

Metzger: Stimmt, denken Sie etwa nur an den Clinch mit Norbert Röttgen im vergangenen Jahr. Aber diese Verknüpfung seiner Person mit dem Thema spielt nach meiner Ansicht keine entscheidende Rolle im Land. Denn die Mehrheit der Badener und Württemberger hat das so gar nicht mitbekommen. Sie identifizieren Mappus nicht automatisch mit dem Thema Atom. Die Details des Streits um die Laufzeitverlängerung sind doch an den meisten Bürgern vorbeigegangen. Es ist vor allem die Opposition, die Mappus jetzt in der öffentlichen Wahrnehmung damit verbinden möchte, und es sind die Journalisten, denen dieser Zusammenhang noch sehr bewußt ist. Das dürfen Sie aber nicht mit der Wahrnehmung des Normalwählers im Land gleichsetzen.

Vor gut zwei Wochen meinte mancher Kommentator noch, die Südwest-Wahl werde zur „Guttenberg-Wahl“.

Metzger: Ich bin ja auch im Wahlkampf unterwegs und kann Ihnen sagen, das Thema ist ad acta gelegt. Ich bin selbst erstaunt, wie vollständig Guttenberg aus der Wahrnehmung verschwunden ist.

Sollte Baden-Württemberg nicht ursprünglich die „Stuttgart-21-Wahl“ werden?

Metzger: Nochmal: Gut möglich, daß jetzt die Mobilisierungsthemen der Grünen die Wahl in Baden-Württemberg entscheiden, weil sie die entscheidenden Prozente bringen. Aber an sich ist ein ganz anderes Thema wahlentscheidend – und das ist weder ein externes noch ein landespolitisches, sondern ein strukturelles Thema: Es gibt in Baden-Württemberg inzwischen eine weitverbreitete Wechselstimmung. Das ist die eigentliche Gefahr für Schwarz-Gelb und die Grundlage dafür, daß ein aktuelles Thema wie die Atomkraft jetzt überhaupt so durchschlagen kann.

Laut Deutschlandtrend sind fünfzig Prozent im Land inzwischen für einen Regierungswechsel.

Metzger: Eben, und ich höre immer häufiger selbst von CDU-Wählern vielsagende Kommentare wie: „58 Jahre sind ja auch eine lange Regierungszeit.“ Oder: „Es ist doch kein Beinbruch, wenn man mal nicht an die Regierung kommt, schließlich lebt Demokratie doch vom Wechsel.“ Inzwischen greifen sogar viele CDU-Wahlkämpfer dieses Argument von sich aus auf, um es präventiv zu entkräften. Daran sehen Sie aber, wie virulent das inzwischen hierzulande ist.  

Woher kommt diese Wechselstimmung?

Metzger: Das hat vielfältige Gründe. Vor allem ist sie Folge einer grundsätzlichen Entwicklung unserer Politik: die Auflösung der Lager und der Stammklientel der Partein, die Ablösung von den Volksparteien, die wachsende Kluft, ja Entfremdung zwischen Bürger und Politik, das alles hat zum Anwachsen des Phänomens der Stimmungswahl geführt. Und zu dieser grundsätzlichen Entwicklung kommen natürlich noch konkrete Enttäuschungen. So spielt nach meiner Beobachtung etwa für viele bürgerliche Wähler aus dem Mittelstandsmilieu der Frust über Schwarz-Gelb seit der Bundestagswahl 2009 eine große Rolle.

Sie sind im Bundesvorstand der CDU-Mittelstandsvereinigung und deren Vize-Vorsitzender in Baden-Württemberg.

Metzger: Und als solcher bekomme ich das hautnah mit: Im Herbst 2009 haben viele bürgerliche Wähler ihre Zweitstimme der FDP gegeben, weil sie auf jeden Fall eine erneute Große Koalition verhindern wollten. Damit haben sie die FDP in astronomische Höhen geschossen. In Baden-Württemberg hatten die Liberalen damals so um die 19 Prozent Zweitstimmen! Dann aber die Riesenenttäuschung, als die bürgerlichen Wahlsieger in Berlin ihre bescheuerte Vertagungspolitik – Stichwort: keine Reformen bis zur NRW-Wahl! – zu zelebrieren begannen. Heute sagen nicht wenige von diesen Wählern resigniert: „Ich gehe gar nicht mehr zur Wahl.“ Jetzt liegt die FDP im Land je nach Prognose bei etwa fünf Prozent. – Und das in ihrem Stammland, wo sie beim letzten Mal noch 10,7 Prozent geholt hat!

Baden-Württemberg – und inzwischen vielleicht auch Rheinland-Pfalz – gilt anders als Sachsen-Anhalt als eine Duellwahl. Führt Polarisierung nicht eigentlich zu einem Anstieg der Wahlbeteiligung?

Metzger: Wie gesagt, darauf bin ich selbst sehr gespannt. Aber ich habe während des Wahlkampfes beobachtet, daß die Union – und das gilt auch für andere Parteien – durchaus Mobilisierungsprobleme hatte. Ich erinnere mich an örtliche Wahlkämpfer, die klagten, sie würden von der Partei zugeschmissen mit Material, aber kaum einer wolle mehr die Plakate kleben. Es gibt einfach eine erhebliche Kluft zwischen der Überhöhung, die diese Wahl durch die Medien erfährt – wegen der Duellsituation, wegen des möglichen Wechsels in einem Stammland der Union und wegen dessen möglicher bundespolitischer Auswirkungen – und der Art und Weise, wie die Wahl tatsächlich von den Bürgern im Land wahrgenommen wird. Was vom politisch interessierten Teil der Mediengesellschaft mit großer Anspannung verfolgt wird, ist für die meisten Leute im Lande eher eine beiläufige Sache.

Was ist mit den landespolitischen Themen – vermögen die nicht zu mobilisieren?

Metzger: Ach wissen Sie, ich erinnere mich noch sehr genau an einen Vortrag eines bekannten Wahlforschers bei uns in der Fraktion – damals war ich noch bei den Grünen. Sein Fazit: Landespolitik interessiert die Leute in der Regel nicht! Ich habe das selbst auf Wahlveranstaltungen immer wieder erlebt. Zuletzt etwa bei einem Auftritt von Stefan Mappus beim CDU-Landesparteitag: Als er die landespolitischen Erfolge der CDU aufzuzählen begann, wurde es selbst unter den Parteitagsdelegierten zunehmend lauter. Nicht weil Mappus schlecht vorgetragen hätte oder er inhaltlich schwach gewesen wäre, sondern weil das die Leute nicht mitreißt. Wenn ein Bürger nur fünf Landespolitiker seines Landes richtig benennen kann, dann gilt er unter Wahlforschern doch schon als bemerkenswert gut informiert.

Wenn Ihre These stimmt, daß Wechselstimmungen eine langfristige Folge der Erosion unserer Demokratie sind, in der labile Stimmungswahlen die alten Lagerwahlen ersetzen, dann erklärt das aber nicht, warum diese Stimmung ausgerechnet jetzt in Baden-Württemberg so stark zutage tritt.

Metzger: Das kann ich Ihnen erklären: Einerseits, wie gesagt, gärt die Hefe der Entfremdung von der Politik, sprich der im Volk beliebte Topos von der „Arroganz der Macht“, schon lange. Andererseits hat sich diese unterschwellige Gärung dann schlagartig entzündet – und zwar an Stuttgart 21.

Also handelt es sich doch um eine Stuttgart-21-Wahl?

Metzger: Nein, Stuttgart 21 selbst ist nicht der Grund, dazu hat sich das Thema in der Sache schon viel zu sehr relativiert. Aber der Fall war der Auslöser, der einem viel grundsätzlicheren Aufbegehren öffentliche Wahrnehmung verschafft hat.

Sie meinen, etwa wie in Tunesien, wo der Tod eines Straßenverkäufers auch nicht Grund, aber Initialzündung für die Revolution war?

Metzger: Und die inzwischen bekanntlich etliche arabische Staaten erfaßt hat. Stuttgart 21, vor allem in Verbindung mit dem unseligen Wasserwerfereinsatz am sogenannten „Schwarzen Donnerstag“ Ende September im Stuttgarter Schloßgarten, hat im Land etwas ausgelöst, das sich schon viel länger angestaut hat. Stuttgart 21 ist zum Katalysator geworden, ja der Fall hat eine Metamorphose vom Sachthema zur Metapher vollzogen, die da lautet: „Die da oben, wir da unten.“ Und wenn sich so was mal festsetzt, dann können Sie als Politiker auf der objektiven Leistungsskala sogar Spitzenwerte erreichen – das interessiert dann nicht mehr. Ob ihre Politik richtig, fundiert und auch effektiv ist, spielt dann keine Rolle, weil die Leute ihrer überdrüssig sind.

Das klingt, als hätten Sie die Union schon aufgegeben?

Metzger: Keineswegs, aber ich bin sehr skeptisch, denn ich spüre, daß die Politik noch nie so weit vom Volk entfernt gewesen ist. Dennoch hoffe ich natürlich, daß unser Wahlkampf am Ende doch zum Erfolg führen wird.

Die Vorwahlberichterstattung konzentrierte sich in den letzten Wochen überregional fast nur auf Baden-Württemberg. Warum spricht keiner von Rheinland-Pfalz?

Metzger: Zum einen, weil es dort keine Wechselstimmung gibt und der Wahlausgang für viele relativ feststeht. Zum anderen, weil Baden-Württemberg eines der letzten verbliebenen Stammlande der Union ist und sie jetzt hier um die Macht fürchten muß: Das ist natürlich ein Symbol für die strategischen Veränderungen im ganzen Land. Es gibt ja inzwischen genug Unternehmen, die Politikberater engagieren mit dem Auftrag, die Auswirkungen bei Übernahme der Bundesregierung 2013 durch eine rot-rot-grüne Koalition zu antizipieren.

Stürzt Mappus, ist das dann der Anfang vom Ende der Regierung Merkel?

Metzger: Aufgrund der Selbstbeharrungskräfte und weil es – seien wir mal ehrlich – kaum Alternativpersonal gibt, sicher nicht sofort. Aber natürlich wäre ein Wechsel in Baden-Württemberg ein Menetekel. Ein mögliches Zeichen an der Wand für 2013 im Bund. Und da kann die Rheinland-Pfalz-Wahl mit ihrer weit geringeren bundespolitischen Ausstrahlung eben nicht mithalten.

Immerhin wird die Union in Stuttgart in jedem Fall Prozente verlieren, in Mainz dagegen wohl gewinnen. Die Frage ist aber, gewinnt dort wirklich die CDU oder nur Spitzenkandidatin Julia Klöckner wegen ihres persönlichen Sympathie-Bonus?

Metzger: Gute Frage, Julia Klöckner ist in der Tat in ihrer sympathischen, bodenständigen Art eine gute personelle Antwort auf Kurt Beck. Und in einer Mediendemokratie entscheiden zumeist Personen und nicht Programme die Wahl. Leider sehe ich dennoch nicht, daß es Julia Klöckner trotz Zugewinn reichen wird, Rot-Grün abzulösen – dafür sind die Grünen derzeit im Land zu stark.

Stuttgart 21, Atomstreit, Bruch der Koalition unlängst in Hamburg – ist Schwarz-Grün endgültig vom Tisch?

Metzger: Nein, denn die Auflockerungen zwischen den Lagern sind viel nachhaltiger als die Themen, die sie derzeit trennen. Als Ex-Grüner werde ich tagtäglich von Unionsleuten darauf angesprochen, daß sie sich eigentlich mehr Kooperation mit den Grünen wünschten. Und da ist das machtpolitische Argument: Die Union kann sich in einer Fünf-Parteien-Landschaft nicht den Fehler erlauben, eine Koalitionsoption prinzipiell auszuschließen. Denn damit hätte die SPD den strategischen Vorteil, sich den Machtzugang deshalb zu sichern, weil sie mit allen Parteien prinzipiell – und tatsächlich – koalieren kann. Auch wenn die Kanzlerin Schwarz-Grün beim letzten Bundesparteitag in Karlsruhe als „Hirngespinst“ bezeichnet hat, Sie werden sehen, wie schnell man sich wieder annähert, wenn es nur darauf ankommt.

Und wie werden sich Sieg oder Niederlage des Laufzeitverlängerungsmatadors Mappus auf Merkels Atompolitik auswirken?

Metzger: Ich sehe die Laufzeitverlängerung in jedem Fall kippen, auch wenn Mappus sich behauptet. Wie gesagt: Verwechseln Sie die Landtagswahl nicht mit einer Volksabstimmung über Atomkraft. Die Laufzeitverlängerung war einfach ein kapitaler Fehler, weil man einen gesellschaftlichen Konsens, der zehn Jahre getragen hat und auf den viele Investitionsentscheidungen gestützt waren, nicht einfach aufkündigt. Das Thema war – schon lange vor der japanischen Katastrophe – in erster Linie ein Mobilisierungsthema für Grüne und SPD. Zudem hat die Laufzeitverlängerung als konservatives Selbstvergewisserungsthema nicht wirklich funktioniert: Das Klare-Kante-zeigen kam selbst in der eigenen Partei nicht so gut an. Ich erinnere mich an genügend Auftritte bei CDU-Gliederungen in ganz Deutschland, bei denen mindestens die Hälfte im Saal laut applaudiert hat, wenn ich die Verlängerung kritisiert habe. Das war letztlich immer nur ein Marketingthema der Regierung, nie eines, das die Herzen der Konservativen wirklich erwärmt hätte.

 

Oswald Metzger, der Ex-Grüne und heutige CDU-Politiker galt als „der ordoliberale Grüne“ (Metzger über Metzger) lange als eine der schillerndsten Persönlichkeiten in den Reihen der Ökopartei. Ende 2007, nach zwanzig Jahren, verließ der ehemalige baden-württembergische Landtags- und spätere Bundestagsabgeordnete schließlich seine Partei „kopfschüttelnd“ über deren sozialpolitischen „Illusionismus“. Heute ist Metzger Mitglied im Bundesvorstand der CDU-Mittelstandsvereinigung und deren stellvertretender Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Geboren wurde der Politiker und Publizist 1954 in der Schweiz. Sein jüngstes Buch „Die verlogene Gesellschaft“ (Rowohlt, 2009) beschreibt mit „analytischer Schärfe und großer Detailkenntnis“ (SZ), wie die Deutschen sich in sozialpolitischer Hinsicht  „jahrzehntelang selbst austricksten“ und nun dem Ruin ihres Gemeinwesens entgegensehen. www.oswald-metzger.de

Foto: Zerschlissenes und verunziertes CDU-Wahlplakat: „Es gibt inzwischen eine weitverbreitete Wechselstimmung im Land – das ist die eigentliche Gefahr für Schwarz-Gelb und Grundlage dafür, daß ein Thema wie Atomkraft jetzt überhaupt so durchschlagen kann“

 

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