© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Der Flaneur
Frühlingsluft im Kiez
Martin Lichtmesz

Neulich beim ersten Klassenfest in unserer Grundschule. Irgendwie hat man alle Kinder und Eltern schon mal gesehen, aber dennoch keinen Durchblick, wer hier wer ist. Die Klassenlehrerin will daher den Kontakt erleichtern. Sie hat sich etwas ausgedacht: Jede Familie soll für ein Foto posieren, die Bilder werden hinterher mit Namen versehen auf einen Bogen montiert, vervielfältigt und an alle Schulkinder verteilt. Dann weiß jeder, wer wer ist. Gute Idee.

Das Ergebnis ist wirklich überraschend. Da alle Geschwisterkinder ausdrücklich mit eingeladen wurden, waren alle Familien in voller Besetzung erschienen und sind nun auf dem Bildbogen zu sehen. Von 19 Familien haben sieben drei Kinder, weitere sieben zwei Kinder und nur fünf lediglich ein Kind.

Die Überraschung geht noch weiter: Von den Drei-Kind-Familien ist nur eine ausländischer Herkunft. Und diese ist – nebenbei bemerkt – offensichtlich auch vorbildlich integriert. Der persische Vater erscheint immer pünktlich auf jedem Elternabend, er gibt der Lehrerin die Hand und engagiert sich fleißig. Von den fünf Ein-Kind-Familien stammen dagegen zwei nicht aus Deutschland. Und Alleinerziehende sind sogar nur einmal vertreten. Klingt komisch, ist aber so.

Ratlosigkeit macht sich breit: Am Umfeld kann das nicht liegen. Unser Viertel ist weder ein „gentrifiziertes“ Altbau-Bionade-Studienräte-Quartier noch ein Prekariatskiez. Einfach nur Durchschnitt.

Was ist denn dann los? Stellt unsere Grundschule die demographische Pyramide wieder auf den Sockel? Daß diese Struktur nicht repräsentativ ist, weiß ich selbst – aber man wird wohl noch träumen dürfen. Vielleicht liegt es ja einfach nur an der kommenden Frühlingsluft ...

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