© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Blutige Wirklichkeit
Ausstellung: Solschenizyn und Rachmanowa in der Berliner Gedenkbibliothek
Ekkehard Schultz

Vor etwas mehr als zwanzig Jahren wurde im Zentrum Berlins die Gedenkbibliothek für die Opfer des Stalinismus eröffnet. Stand zunächst vor allem die Sammlung der Literatur von einstigen Oppositionellen aus der ehemaligen DDR und anderen Staaten des kommunistischen Machtbereichs im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit, so hat sich die Institution unter ihrer langjährigen Leiterin Ursula Popiolek längst ebenso als Veranstaltungsort zahlreicher Vorträge und Diskussionen über die einstigen Diktaturen und ihre Wirkungsweisen etabliert und einen renommierten Namen verschafft (JF 50/10).

Darüber hinaus wird in der Gedenkbibliothek, die heute über 10.000 Titel umfaßt, bereits seit knapp zwei Jahren eine Dauerausstellung über zwei russische Schriftsteller präsentiert, die in ihren Büchern das Leiden ihrer Landsleute unter dem kommunistischen Regime in den Mittelpunkt stellten: Alexander Solschenizyn und Galina Djuragin, die, um ihre Familie vor zusätzlichen Repressionen zu bewahren, ihre Werke unter dem Pseudonym Alja Rachmanowa verfaßte. Nunmehr liegt zu dieser Präsentation auch ein lesenswerter Ausstellungsführer vor.

Der am 18. Dezember 1918 geborene Solschenizyn wurde in den siebziger Jahren dem westlichen Publikum vor allem durch sein Hauptwerk  „Der Archipel Gulag“ bekannt, in dem er das unmenschliche sowjetische Lagersystem charakterisierte. Bereits in seinem Roman „Der erste Kreis der Hölle“ hatte Solschenizyn, der aufgrund seiner Kritik an Stalin in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges verhaftet und zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, erstmals seine persönlichen Erfahrungen in Zwangslagern verarbeitet. Auch in „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ setzte er sich mit diesem Thema auseinander. Diese Erzählung konnte in den sechziger Jahren in der Moskauer Literaturzeitschrift Nowy Mir erscheinen, nachdem der damalige Staats- und Parteichef Chruschtschow die Veröffentlichung gestattet hatte.

Nach dem politischen Sturz Chruschtschows blieb in der Sowjetunion jedoch kein Platz mehr für Solschenizyns Kritik. 1965 beschlagnahmte der KGB das Manuskript seines Buches „Der erste Kreis der Hölle“. 1974 wurde Solschenizyn schließlich – nachdem er den „Archipel Gulag“ im Samisdat veröffentlicht hatte – im Februar 1974 aus der Sowjet-union ausgewiesen. Erst 1990 rehabilitiert, erhielt er 1994 wieder die russische Staatsbürgerschaft und kehrte in seine Heimat zurück.

Im Gegensatz zu Solschenizyn ist Alja Rachmanowa, die als Galina Djuragin am 27. Juni 1898 in Kasli im Uralgebirge geboren wurde, heute trotz der hohen Auflagen ihrer zumeist autobiographischen Romane nahezu komplett in Vergessenheit geraten. Die aus einem adeligen Elternhaus stammende Rachmanowa wurde 1925 mit ihrer Familie ohne Angabe von Gründen aus der Sowjetunion ausgewiesen. In der österreichischen Heimat ihres Ehemannes verfaßte sie Ende der zwanziger Jahre ihren ersten Roman, der 1931 unter dem Titel „Studenten, Liebe, Tscheka und Tod“ erschien.

Grundlage des Werkes, in dem Rachmanowa die Auswirkungen des kommunistischen Umsturzes von 1917 und des folgenden Bürgerkrieges auf eindrückliche Weise verarbeitete, waren ihre privaten Tagebuchaufzeichnungen. Dem Leser wurde eine Gesellschaft vor Augen geführt, in der Erschießungen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Plünderungen eine scheinbare Normalität darstellten.

Im Folgeband „Ehen im roten Sturm“ behandelte Rachmanowa die frühen zwanziger Jahre in ihrer alten Heimat, die von Hunger und der Angst vor der Liquidierung durch den kommunistischen Geheimdienst überschattet waren. In „Milchfrau in Ottakring“ schilderte sie schließlich ihre Situation nach der Ankunft der Familie aus Rußland in
Wien. Zugleich ging sie darin aber auch auf das Schicksal ihrer in der Sowjet-union verbliebenen Verwandten ein. Alle drei Werke wurden große Publikumserfolge, denen zahlreiche weitere Romane folgten.

So unterschiedlich das literarische Schaffen von Solschenizyn und Rachmanowa im einzelnen ausgefallen ist, so gibt es doch auch enge Gemeinsamkeiten: Beide Schriftsteller dokumentieren in ihren Büchern die blutige Wirklichkeit der kommunistischen Herrschaft aus keiner parteipolitischen Sicht, sondern orientieren sich an den Geboten der Menschlichkeit. Und sowohl Solschenizyn als auch Rachmanowa leisteten mit der Veröffentlichung ihrer Hauptwerke im Westen einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung über die tatsächliche Dimension der Verbrechen des Sowjetstaates.

Die Ausstellung „Utopie und Terror – Alja Rachmanowa und Alexander Solschenizyn“ wird in der Berliner Gedenkbibliothek für die Opfer des Kommunismus/Stalinismus, Nikolaikirchplatz 5-7, gezeigt. Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr. Telefon: 030 / 2 83 43 27

Der gleichnamige Katalog kann in der Bibliothek erworben werden.  www.gedenkbibliothek.de

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