© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Haltungsnote
Ein Siezfreund
Christian Schwiesselmann

Wer hat es noch nicht erlebt und sich verwundert die Ohren gerieben – völlig unbekannte Menschen, die einen plötzlich duzen und damit ein Näheverhältnis herstellen, das ihnen nicht zusteht. Schon längst kein Unterschichtenphänomen mehr, sondern seit ‘68 Usus beim akademischen Nachwuchs. Erst recht in der Unterhaltungsindustrie, wo die unhöfliche Unsitte vor allem bei reiferen Schauspielern wie Christoph Waltz auf Unbehagen stößt.

Der deutsch-österreichische Oscar-Preisträger beklagte dieses Symptom der fortschreitenden Egalisierung unserer Lebenswelt kürzlich in einem Modesonderheft der Zeitschrift GQ Gentlemen’s Quarterly: Früher hätten die Menschen einander gesiezt, sogar wenn sie sich sehr sympathisch waren oder sich bereits eine ganze Weile kannten, so der 1956 in Wien geborene Absolvent des renommierten Max-Reinhardt-Seminars.

„Heute komme ich manchmal an einen Drehort, und da sind junge, wirklich nette Mitarbeiter, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe und die jünger sind als meine eigenen Kinder. Aber sie duzen mich, als wäre ich mit ihnen zur Schule gegangen. Da habe ich was dagegen.“ Waltz verspürt einfach keine Lust, „plötzlich der beste Freund von irgendwem zu sein“.

Das Duzen – politisch einst nur den Genossen vorbehalten – hat die familiären und betrieblichen Hierarchien längst geschleift und sich eingebürgert in den Umgangsformen der Normeuropäer. Christoph Waltz, der früher auf deutschen Bühnen reüssierte und längst in Hollywood angekommen ist, hält daher große Stücke auf die Verschiedenheit der US-amerikanischen Gesellschaft: „Wir müssen respektieren und schätzen, daß der andere anders ist. Deswegen heißt er ja auch so.“ Zu Recht identifiziert er das Duzen als Ausdruck der Gleichmacherei – eine  sprachliche Uniform der Anrede.

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