© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Wahnsinn mit Methode
E10-Einführung stößt auf Widerstand – Lobby der Befürworter setzt auf Totschlagargument „Klimaschutz“
Harald Ströhlein

Das Ergebnis des Benzingipfels im Bundeswirtschaftsministerium läßt sich mit einer Agitprop-Parole von DDR-Staatschef Erich Honecker zusammenfassen: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ Die Bundesregierung hält trotz des Boykotts durch die Autofahrer an der Einführung des E10-Sprits fest. Die Information über das neue Superbenzin mit zehn Prozent Äthanol würde aber verstärkt, versprach Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). „Es ist ein politischer Konsens, Biokraftstoffe einzuführen, in Deutschland und in Europa“, erklärte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Beim Verbraucher solle nun aber verstärkt für die Einführung von E10 geworben werden.

Natürlich ist es ein reizvoller Gedanke, durch die Zumischung von Bioäthanol zum Kraftstoff die Erdölreserven zu schonen, den Bauern Absatz zu verschaffen und etwas für den Umweltschutz zu tun. Immerhin wurden voriges Jahr in Deutschland über 20 Millionen Liter Benzin über dem Asphalt verbrannt. Doch die Nachhaltigkeitsvorschriften der EU in Sachen CO2-Einsparung durch Biosprit und die wieder einmal vorauseilende Umsetzung der Bundesregierung haben nicht nur Verwirrung gebracht. Auch an ihrer Sinnhaftigkeit bestehen ersthafte Zweifel (JF 51/10).

Zu Recht fühlen sich die deutschen Autofahrer angesichts der neuen Klassifizierung an den Zapfsäulen überrumpelt. Während es bei der Umstellung auf B7-Diesel (Kraftstoff mit bis zu sieben Prozent Fettsäuremethylester) kaum Aufregung gab, scheiden sich bei dem Superbenzin E10 die Geister. Ob nun das eigene Auto mit E10 betankt werden darf, sollte man mit dem Hersteller oder Händler abklären und sich schriftlich bestätigen lassen – sonst bleibt man auf den Reparaturkosten sitzen.

E10 kann – bei hohem Druck und hohen Temperaturen – korrosiv wirken. Nicht alle Dichtungen und Schläuche vertragen das aggressive Äthanol. Weitere Langzeitwirkungen sind unerforscht. Immerhin bleibt jenen drei bis vier Millionen Besitzern von nicht E10-tauglichen Wagen und jenen, die dem Biosprit partout nicht über den Weg trauen wollen, der Griff zum Super Plus. Dank der höheren Oktanzahl (98 statt 95) verbrauchen manche Motoren dadurch sogar etwas weniger – allerdings sind je Liter mindestens acht Cent (fünf Prozent) mehr zu berappen.

Für Skepsis sorgen auch Testberichte, wonach E10 zu einen Bezinmehrverbrauch von bis zu fünf Prozent führen kann. Nach Aussage der TU Wien könne ein Mehrverbrauch von 1,9 Prozent nicht ausgeschlossen werden. Unisono bestätigt die Wissenschaft, daß der Heizwert von Bioäthanol mit 26 Megajoule je Kilogramm (MJ/kg) nur 62 Prozent des Benzinwertes von über 43 MJ/kg erreicht: es muß also künftig logischerweise öfters getankt werden.

Das Ergebnis einer vom ADAC-Magazin aktuell durchgeführten Umfrage muß daher nicht verwundern: Während 70 Prozent der Befragten den Biosprit ablehnen und dafür den Griff zum superteuren Super Plus in Kauf nehmen, ist sich ein Fünftel angesichts unterschiedlicher Meinungen unsicher. Nur acht Prozent waren für E10. Der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie argumentiert dagegen, Biokraftstoffe aus Deutschland verminderten die Treibhausgasemissionen im Verkehr um 50 bis 80 Prozent im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen. Damit erfüllten sie die gesetzliche Vorgabe, wonach Biodiesel und Bioäthanol mindestens 35 Prozent weniger Treibhausgase verursachen.

Den von der Branche attestierten ökologischen Nutzen stellen Experten ernsthaft in Frage und fordern eine Rückkehr zu alten Werten. Demnach sieht das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag „nur begrenzte Einsparungen bei den Klimaemissionen“ durch E10. Weiter heißt es sogar, daß es ineffizient sei, Energiepflanzen zu Biokraftstoff zu verwerten. In diesem Zusammenhang wird speziell auf die Zweckentfremdung von Ackerland, welches vornehmlich für den Anbau von Nahrungsmitteln gebraucht werde, hingewiesen.

Doch Landnutzungsänderungen mit all ihren negativen Einwirkungen auf die unmittelbare Umwelt, die im übrigen auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) anmahnt, werden vom Deutschen Bauernverband (DBV) kleingeredet. Bei flächendeckender Verwendung von E10 könnten sogar bis zu zwei Millionen Tonnen Benzin im Jahr gespart werden. Der DBV-Vize und CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Schindler widersprach vehement der Behauptung, die Bioäthanolproduktion begünstige Monokulturen: Bioäthanol werde aus fünf verschiedenen Getreidearten und aus Zuckerrüben hergestellt.

Doch gerade diese Konkurrenzsituation innerhalb der Landwirtschaft wird mittelfristig darüber bestimmen, welcher Stellenwert der Herstellung und dem Einsatz von Biokraftstoffen eingeräumt werden wird und darf. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland bereits rund 1,5 Millionen Tonnen an Getreide für die Herstellung von Bioäthanol verwendet. Angesichts der im vergangenen Jahr geernteten Getreide- und Maismenge von mehr als 40 Tonnen ist der Anteil mit knapp vier Prozent noch keine bedenkliche Menge.

Doch der nun von der Politik verordnete Einsatz von Bioäthanol im Ottokraftstoff wird die Entwicklung erheblich forcieren. Sofern also Bioäthanol aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen hergestellt wird, die der Nahrungsmittelproduktion dienen und dafür zudem prädestinierte Ackerflächen mißbraucht werden, wird die vermeintlich zur Phrase verkommene Frage „Tank oder Teller“ eine brisante Aktualität erhalten. Angesichts dessen sind ein paar Millionen zornige deutsche Autofahrer nur ein Nebenkriegsschauplatz.

 

E10-Kraftstoff in den EU-Ländern

Die Grundlage für die Zwangseinführung von Superbenzin mit zehn Prozent Bioäthanol (E10) ist die EU-Richtlinie 2009/30/EG. Obwohl diese in allen EU-Ländern gilt, führte bislang nur Frankreich (wo drei Viertel der Pkw allerdings einen Dieselmotor haben) im Jahr 2009 E10 flächendeckend ein. In Deutschland wurde die E10-Einführung vom damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wegen technischer Bedenken zunächst gestoppt. Zu Jahresbeginn wurde E10 unter dem CDU-Ressortchef Norbert Röttgen schließlich in Deutschland eingeführt. In Finnland startete E10 zeitgleich, im Mai will Schweden folgen. In Österreich soll E10 frühestens ab Herbst 2012 auf den Markt kommen – ÖVP-Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich ist vehement dafür, SPÖ-Infrastrukturministerin Doris Bures äußerte hingegen Bedenken. In den Niederlanden und Belgien soll die E10-Einführung über einen längeren Zeitraum erfolgen. In Italien, Polen und der Tschechei gibt es derzeit noch keine konkreten Pläne. In Großbritannien soll es ab April zunächst ein E4 mit vier Prozent Biosprit geben.

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