© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Vertreter einer konservativen Moderne
Ausstellung zu dem Architekten Paul Bonatz
Claus-M. Wolfschlag

Bislang noch selten beachtet ist, daß die architektonische Moderne zu Anfang des 20. Jahrhunderts keinesfalls festgelegt war. Der Sieg der späteren Bauhaus-Strömung und ihrer zahlreichen Ableger hatte mit der Besetzung einflußreicher Schlüsselstellungen in den Hochschulen nach 1945 zu tun.

Dem steht eine von der Zwischenkriegszeit bis in die fünfziger Jahre bestehende architektonische Konkurrenzströmung gegenüber, die man mit den Begriffen konservativ, heimatschützend, neoklassizistisch umschreiben könnte. Der 1877 geborene Paul Bonatz gilt als einer ihrer bedeutendsten Vertreter. Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt widmet ihm derzeit eine umfassende Schau. Das dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, daß der wohl bekannteste Bonatz-Bau seit einiger Zeit im Fokus großen öffentlichen Interesses steht: der Stuttgarter Hauptbahnhof, Zentrum der Proteste gegen das Projekt „Stuttgart 21“. Bonatz orientierte sich für diesen letzten großen Bahnhofsbau der Epoche vor der allgemeinen Automobilisierung an altägyptischen Grundformen. Moderne Schlichtheit verband er mit kubischem Pathos und neoklassizistischer Monumentalität.

Bonatz stand für eine andere, konservative Moderne. Etwa für einen Wohnhausbau mit Walmdach, der „Wärme und Ruhe und Heimatgefühl“ vermitteln sollte. Seine Autobahnbrücken waren nicht nur Zweckbauten, sondern orientierten sich am Landschaftsbild. Trotz seiner liberalen Distanz zum NS-System bemühte er sich auch in den dreißiger und vierziger Jahren intensiv um öffentliche Bauaufträge. Nach Kritik am unproportionierten Gigantismus Albert Speers flüchtete er aber 1944 aus dem „Wahnsinn“ in die damals neutrale Türkei, erbaute unter anderem das Opernhaus in Ankara.

Bonatz’ Entscheidung, erst 1954 nach Deutschland zurückzukehren, dürfte maßgeblich zum Ende der Traditionslinie „Stuttgarter Schule“ beigetragen haben. Das Heft der Hochschullehre übernahmen kampflos die Modernisten. Die bald verpönte Monumentalität des 1956 verstorbenen und seine frühe Kritik an der modernistischen Weißenhofsiedlung verhinderten somit lange die intensive Beschäftigung mit seiner anderen Moderne.

Die Ausstellung „Paul Bonatz 1877–1956. Leben und Bauen zwischen Neckar und Bos-porus“ ist noch bis zum 20. März im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main, Schaumainkai 43, täglich außer montags von  11 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, zu sehen. www.dam-online.de

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