© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Die Türkei macht blau
Integration: Eine abgespeckte Staatsbürgerschaft für Deutsch-Türken widerspricht deutschem Recht
Wolfgang Philipp

Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat in seiner Düsseldorfer Rede (JF 10/11) angekündigt, Türken, welche die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder anstreben, eine „blaue Karte“ als eine Art türkischen Personalausweis auszustellen. Dieser „abgespeckten Form“ der Staatsbürgerschaft soll nur das Wahlrecht fehlen. Diese Initiative Erdogans sollte in Deutschland die Alarmglocken schrillen lassen, denn sie zielt darauf ab, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht mit gefährlichen Auswirkungen auch auf das Wahlrecht zu umgehen.

Nach Paragraph 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes kann ein Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit grundsätzlich nur dann erwerben, wenn er seinen bisherigen Paß aufgibt. Erwirbt er die frühere Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag zurück, so geht die deutsche Staatsangehörigkeit wieder verloren. Im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2005 kam heraus, daß viele „Deutsch-Türken“, die zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft auf die türkische verzichtet hatten, sich ohne Wissen der deutschen Behörden die türkische (wieder) beschafft haben. Das geschah mit völkerrechtswidriger Unterstützung der Türkei (JF 18/05). Die türkische Regierung hat damals zugegeben, daß es mindestens 50.000
solcher Fälle gegeben hat. Die Meldeämter erfuhren von diesen Vorgängen nichts, die Wählerlisten blieben unverändert, und die Scheindeutschen konnten an der Bundestagswahl teilnehmen, obwohl eine solche Tat mit Strafe bedroht ist.

Die deutsche Politik hat damals die eingebürgerten Türken schriftlich um Aufklärung ersucht. Dadurch wurden die Wählerlisten teilweise berichtigt. Daß alle Fälle erfaßt wurden, muß bezweifelt werden, infolgedessen auch die Gültigkeit der Wahl 2005. Es kam zu Einspruchsverfahren, die die Gültigkeit der Bundestagswahl zwar nicht in Frage stellen konnten, aber doch einen wichtigen Teilerfolg erzielten: In einem Beschluß hat der Bundestag das Anliegen 2006 aufgenommen und die Regierung gebeten zu prüfen, ob durch geeignete Maßnahmen „sichergestellt werden kann, daß keine Personen an Bundestagswahlen teilnehmen, die gemäß Paragraph 25 Absatz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes durch Erlangung einer ausländischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit und damit das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag verloren haben.“ Außerdem sollten die bislang erfolglosen Bemühungen der Bundesregierung, von der türkischen Seite detaillierte Informationen über von der Türkei vorgenommene Einbürgerungen deutscher Staatsangehöriger zu erhalten, fortgesetzt werden.

Dieses Problem wird durch die Ankündigung der Türkei, solchen Ausländern, die türkischer Abstammung sind (anderen nicht), in Gestalt einer „blauen Karte“ Rechte einzuräumen, die für die Staatsbürgerschaft typisch sind, wieder hochaktuell. Das deutsche Recht läßt nicht zu, daß Bewerber um die deutsche Staatsbürgerschaft etwa nur teilweise oder eingeschränkt oder mit Vorbehalt auf ihre frühere Staatsangehörigkeit verzichten. Umgekehrt geht die deutsche Staatsbürgerschaft verloren, wenn sich herausstellt, daß der „Deutsch-Türke“ wesentliche Elemente seiner früheren Staatsangehörigkeit beibehalten hat. Es kann nicht sein, daß durch die Türkei eine im Völkerrecht bisher unbekannte „eingeschränkte Staatsbürgerschaft“ eingeführt wird, um das Recht eines anderen Staates zu unterlaufen. Es widerspricht allen internationalen Gepflogenheiten, wenn der türkische Staat Ausländern, die türkischer Abstammung sind, Personalausweise welcher Art auch immer ausstellt. Pässe und Personalausweise werden immer nur den eigenen Staatsbürgern erteilt, so ist es auch im deutschen Paß- und Personalausweisrecht. Die Initiative Erdogans ist somit ein Angriff auf Grundlagen des deutschen demokratischen Staates. Sie führt zu einer im deutschen Staatsrecht grundsätzlich abgelehnten doppelten Staatsbürgerschaft. Ein „Zwischending“ zwischen doppelter und einfacher Staatsangehörigkeit kann es nicht geben, schafft falsche Loyalitäten und weitreichende Rechtsunsicherheiten. Die Bundesregierung muß auf diplomatischem Wege dafür sorgen, daß diese „blaue Karte“ in der Türkei nicht eingeführt wird. Nur dadurch kann das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht durchgesetzt und können außerdem die Deutsch-Türken vor der Gefahr, sich strafbar zu machen, bewahrt werden.

Für eine solche Initiative spricht auch der im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte sogenannte „ordre public“: „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“ Zu diesen Grundrechten gehört auch das Wahlrecht jedes Deutschen nach Artikel 38 des Grundgesetzes.

Erdogan hat in Düsseldorf die in Deutschland lebenden eingebürgerten „Deutsch-Türken“ als „meine Staatsbürger, meine Mitbürger“ bezeichnet, sieht sie also nach wie vor als Türken an. Genau das soll durch die „blaue Karte“ dokumentiert werden. Irgendeinen „Kompromiß“ kann es in dieser Sache nicht geben, schon weil dieser Rechtsfragen aufwerfen würde, deren Beantwortung erst nach Jahren beim Bundesverfassungsgericht zu erwarten wäre. Bis dahin könnten zahlreiche Wahlen in Deutschland angefochten werden. Das alles spricht dafür, dem Versuch Erdogans, in Deutschland türkische Staatsgewalt auszuüben, entschieden entgegenzutreten.

 

Dr. Wolfgang Philipp ist Rechtsanwalt

Foto: So könnte die „Blaue Karte“ aussehen: Doppelte Staatsbürgerschaft durch die Hintertür?

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