© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Journalistische Einseitigkeit
Nicht mehr zu ertragen
Birgit Kelle

Wozu lese ich noch Zeitung, frage ich mich oft beim Frühstück? Was geschrieben steht, ist nur selten, was ich denke. Schlimmer noch: Oft hat es rein gar nichts mehr mit Information zu tun. Dabei gehört es doch zum klassischen Rüstzeug des ambitionierten Journalisten, Meinung und Fakten säuberlich zu trennen. So die Theorie. Kommen wir zur Praxis. Manche Medien hielten davon noch nie etwas, wie derzeit das Magazin Der Spiegel anschaulich demonstriert in einem Schlagabtausch mit der verhaßten Bild-Zeitung. Während diese dem Mann der Straße nach dem Mund schreibt, sitzt man beim Spiegel auf dem hohen Roß des moralisch Überlegenen und erlaubt sich, dem blöden Volk zu erklären, was es bitte schön zu denken hat.

Es gibt genug Beispiele, an denen zu beobachten war, wie sich die öffentliche Meinung von der veröffentlichten Meinung eklatant unterschied – nehmen Sie nur mal den Fall Eva Herman. Aktuell bekommen wir wieder medialen Anschauungsunterricht rund um Nicht-mehr-Doktor zu Guttenberg. Während das Volk seine Helden liebt, schreibt die Journaille sie runter.

Ein beliebter Mechanismus. Da sind wir dann wieder zurück in der Antike, wo noch die Überbringer der schlechten Nachrichten geköpft wurden. Gesunder Menschenverstand ist da nicht hoch im Kurs. Sarrazin! Buhmann des Feuilletons, Held der Straße. Thema Islam in Deutschland oder jede x-beliebige Kriegsberichterstattung. Inzwischen sehen mein Mann und ich CNN bei internationalen Zwischenfällen, um eine objektive Beschreibung zu bekommen, weil wir die meinungsgefärbten Live-Schaltungen der deutschen Nachrichten oft nicht mehr ertragen. Ist es also Populismus, wenn sich eine Zeitung auf die Seite des Volkes stellt? Ja, natürlich, Gott sei Dank!

Wenn die Politik sich schon nicht mehr darum schert, was das Volk denkt, dann ist es gut, wenn es noch Medien gibt, die die Themen aufgreifen und das aussprechen, was viele denken, sich aber schon lange nicht mehr trauen offen auszusprechen – vor lauter Angst, in den Fettnäpfchen der „Political Correctness“ zu versinken. Ich werde jedenfalls auch weiterhin morgens vor der Zeitungslektüre nicht beim Spiegel anrufen, um vorher nach einer Betriebserlaubnis für meinen Verstand zu fragen.

 

Birgit Kelle ist Journalistin, Mutter, Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus und Mitglied der New Women for Europe

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