© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Das Auge wählt mit
Der „Fall Guttenberg“ ist ein Lehrstück über Charisma in der Politik
Christian Vollradt

Das Beruhigende zuerst: Nein, es folgt an dieser Stelle nicht der x-te politische Nachruf respektive -tritt auf Karl-Theodor zu Guttenberg. Die großen Nekrologe waren unangebracht bei einem, der von seinem Amt zurückgetreten und aus dem Bundestag ausgeschieden ist. Abgetreten ist er damit nicht, zumal eine Revision des Abschieds aus der Politik ausdrücklich zugelassen wurde. Und nein, der Konservatismus in Deutschland hat mit der Affäre des Nicht-mehr-Verteidigungsministers keinen größeren Schaden erlitten – unabhängig von der Frage, ob der Betreffende nun ein „richtiger“ oder bloß ein „gefühlter“ Konservativer war: Personell ist dieses Spektrum auf der politischen Führungsebene ohnehin so unterrepräsentiert, daß ein noch tieferer Fall nahezu unmöglich ist.

„Politische Treibjagd“ hin, „Medienhetze“ her: Die erzwungene Kabinettsumbildung am 2. März hat Friktionen offenbart, deren Auswirkungen auch in diesem Blatt spürbar sind. Wer deutliche Kritik las, wo er Solidarität mit dem Stürzenden erwartet hätte, reagierte ungehalten. Und auf der anderen Seite wundert sich mancher über Vergleiche, die zu hinken scheinen. Denn anders als zu früheren Zeiten die Herren Jenninger, Heitmann oder Hohmann mußte im aktuellen Fall ein Unionspolitiker nicht bloß deshalb gehen, weil er „das Falsche“ (gleich: das Nicht-Opportune) gesagt hat. Ohne ein tatsächliches, nachweisbares Fehlverhalten zu Guttenbergs hätte der politische Gegner keinen Erfolg gehabt.

Die Äußerlichkeiten jedoch, das Phänomen, sind sehr wohl vergleichbar: Hier die Bürgerlichen, da linke Parteien, Zeitungen, Sender, deren Ansichten über einen in die Kritik geratenen Politiker diametral entgegenstehen. Er soll bleiben, sagen die einen; er muß weg, die anderen. Und am Ende bleiben der Unmut und die Enttäuschung, daß wenige mehr Durchsetzungsvermögen hatten als die (vielleicht auch nur gefühlte) Mehrheit. Sicher, auch über 500.000 Facebook-Freunde machen noch keine Tea-Party, keine „konservative Apo“ (André Lichtschlag). Und eine halbe Million „Gefällt mir“ lassen sich – sieht man von leichter mobilisierbaren „Wutbürgern“ links der Mitte einmal ab – nicht einfach auf die Straße bringen; aber an die Wahlurnen möglicherweise schon. „Konservative gehen nicht auf die Straße. Sie fordern nicht offensiv – sie wollen abgeholt werden“, stellte sehr zutreffend der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner vom Umfrageinstitut Emnid im Gespräch mit dieser Zeitung fest (JF 39/10). Doch anders als in den Fällen der oben genannten Politiker, die zum (finalen) Rückzug gezwungen worden waren, geht die Solidarisierungswelle mit zu Guttenberg weit über einen kleinen Teil des „bürgerlichen Lagers“ hinaus.

Ein Politiker, dem das Herz der perlenbehängten Dame auf Hamburgs Jungfernstieg genauso zufliegt wie das des Hauptgefreiten am Hindukusch, ist nicht alltäglich. Und dieses „Außeralltägliche“ hat der Soziologe Max Weber einst als Grundlage der „charismatischen Herrschaft“ definiert, die „der rationalen, insbesondere der bürokratischen, als der traditionalen schroff entgegengesetzt“ sei. Über Meinungs- und Interessenunterschiede hinweg macht der Charismatiker mit Leidenschaft wett, was an Inhalt fehlt – und formt aus der heterogenen Klientel eine liebende Anhängerschaft. Die Attitüde der Unionswähler, nach einem Aushängeschild zu gieren, für das man sich auch unter Linken nicht zu rechtfertigen braucht, hat ein übriges dazu beigetragen.

Glaubt man dem Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter (siehe Interview Seite 3), hat dies den Erfolg zu Guttenbergs ausgemacht: außerpolitische Maßstäbe, Sehnsüchte und eine gewisse Distanz zum festgefahrenen Politbetrieb. Daß diese Distanz im Falle des fränkischen Christsozialen bei weitem nicht so real war, wie sie von vielen seiner Fans empfunden wurde, ist offenkundig. Aber das entspricht vielleicht einer besonderen Eigenart der Deutschen. Wer vor dem äußersten Schritt und revolutionärer Unbedingtheit zurückschreckt – siehe Lenins Spott über den Umstürzler, der eine Bahnsteigkarte erwirbt, bevor er den Bahnhof erstürmt – , dem fehlt auch die Neigung, die politische Klasse in letzter Konsequenz zu strafen; er mag sich, überspitzt gesagt, den Populisten ohne Populismus wünschen und daher den Nicht-Etablierten dem Anti-Etablierten vorziehen. Das wirkt sich auch auf die gern beklagte „Lücke“ rechts der Union aus: Eine Populistenpartei mit provokativem Auftreten habe wenig Aussicht auf Erfolg, so der Wahlaugure Schöppner.

Vielmehr zeigt sich wieder einmal: Ginge es im politischen Wettbewerb nur um Inhalte, säße Friedrich Merz in der Regierung und Martin Hohmann noch im Bundestag. Und spielten auf der anderen Seite Äußerlichkeiten – Charme, Kleidungsstil, Wortwahl – wirklich keine Rolle, rangierte in Österreich bei Umfragen zur (nur theoretischen) Kanzlerdirektwahl nicht FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache an Platz eins. Auch der Wahlbürger tickt nicht grundsätzlich anders als der Warenkonsument. Legte der Mensch bei seinen Entscheidungen tatsächlich nur die Vernunft zugrunde, sähen die Umsätze mancher Unternehmen traurig aus. Mit Ratio haben weder der Minirock noch der Mini-Cooper etwas zu tun, und doch finden beide reißenden Absatz. 

Grundsatzprogramme, Analysen und Ideen sind das eine, doch das Auge wählt mit. Das ist auch eine Lehre, die parteiübergreifend aus dem „Fall Guttenberg“ gezogen werden kann. Verpackung und Marketing mag man herablassend belächeln, sie außer acht zu lassen wäre riskant. Natürlich gilt auch: Mit Charisma allein wird noch kein Problem gelöst (Oberreuter). Wer die politischen Zeitläufe in diesem Land ändern möchte, sollte sich vorab ehrlich eingestehen, wie die Dinge funktionieren. Wunschvorstellungen sind wohl schmeichelhafter, aber kaum zutreffend.

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