© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

Zeitschriftenkritik: Psychologie Heute
Das gewöhnliche Leben leben
Werner Olles

Fehler zu machen gilt in unserer auf Leistung, Erfolg und Gewinn programmierten Gesellschaft immer noch als Zeichen von Ignoranz, Schwäche, Unwissenheit und mangelnder Intelligenz. Doch gibt es auch optimistischere Perspektiven, dies legt jedenfalls das Schwerpunktthema „Erfolgreich scheitern. Wie uns Fehler weiterbringen“ der aktuellen Ausgabe (März 2011) der Zeitschrift Psychologie Heute nahe.

So könnten Fehler erstaunlich positive Wirkungen entfalten und uns vielleicht sogar glücklicher machen, betonen Psychologen. Zum einen gehöre Fehler zu machen zum Menschsein dazu, andererseits sei sich zu irren alles andere als ein Zeichen von intellektueller Minderwertigkeit, sondern äußerst wichtig für die kognitive Erkenntnisfähigkeit. Fehlbarkeit sei auch keineswegs ein moralischer Makel, sondern als unverzichtbarer Bestandteil erstrebenswerter Qualitäten und Fähigkeiten wie Empathie, Kreativität, Humor und Mut zu verstehen. Schließlich sei sie auch kein Zeichen für Abgestumpftheit oder gar Intoleranz, sondern eine unerläßliche Voraussetzung, um zu lernen, zu verstehen und sich zu verändern.

Über vierzig Jahre nach der 68er-Kulturrevolution scheint auch in Deutschland endlich die Wiederentdeckung des gewöhnlichen Lebens auf der Tagesordnung zu stehen. Zumindest plädiert Anke Bruder, die Autorin des Beitrags „Spießig? Ja bitte! Warum die Spießigkeit in Deutschland ihr Revival feiert und warum gerade junge Menschen sich zu ihr bekennen sollten“ für die Verteidigung einer „gelebten Spießigkeit“ und wendet sich dabei vehement gegen den Zeitgeist, der uns allen wider jede Erfahrung und jedes bessere Wissen suggeriert, wir müßten unbedingt etwas Besonderes sein. Das wahre Glück liege vielmehr in der „guten alten Spießigkeit“, denn tatsächlich sei das gewöhnliche Leben schon aus einer sprachgeschichtlichen Perspektive das „wohnende Leben“, und dies meine eben „sich auskennen, bleiben, in der Nähe sein“, also durchaus angenehme Empfindungen. Entsprechend bedeute das ungewöhnliche Leben ein Dasein, in dem man sich nicht auskennt, in dem man verloren ist

Dies sieht auch der Philosoph und Buchautor Martin C. Müller („Alle im Wunderland. Verteidigung des gewöhnlichen Lebens“) so und betont die Erfahrung einer Regelmäßigkeit der Lebensumstände, die es einem leicht macht, fast schlafwandlerisch durch den Tag zu kommen. Dies schließe zwar keineswegs Neues aus, doch müsse das Neue in das eigene gewöhnliche Leben und die vertrauten Lebensbereiche integrierbar sein.

Die Wertewandelforschung reagierte auf die Finanzkrise und die zerplatzten Träume der „Postmaterialisten“ von einer besseren Welt mit einer gewissen Hilflosigkeit. Darauf weist Max A. Höfer in seinem Beitrag „Doch keine bessere Welt?“ hin und konstatiert einen „Überbietungswettlauf“ in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Das postmaterielle Werteparadies habe in einem moralischen Desaster geendet.

Kontakt: Beltz Verlag. Werderstr. 10, 69469 Weinheim. Das Einzelheft kostet 5,90 Euro, das Jahresabo 64 Euro.  www.psychologie-heute.de

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