© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

„Thierse ist eine Schande für das Parlament“
Sachsen: Nach den schweren Ausschreitungen in Dresden am 19. Februar hat die politische und juristische Aufarbeitung begonnen
Paul Leonhard

Die schweren Krawalle am 19. Februar in Dresden haben ein juristisches und ein politisches Nachspiel. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht dabei Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), der die Polizei verbal scharf angegriffen hatte. „Die Polizei ist eben vollauf damit beschäftigt, die Neonazis zu schützen“, hatte Thierse in die Kameras gesagt und hinzugefügt, das sei sächsische Demokratie.

Von „unerträglichen Äußerungen“ sprach daraufhin Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. Thierse habe in seiner Funktion eine Fürsorgepflicht gegenüber denjenigen, die die Gesetze vollziehen. Wer Polizisten in die Nähe von Neonazis rücke, handele charakterlos und sollte zurücktreten. Der  stellvertretende Leiter der Polizeidirektion Oberes Elbtal/Osterzgebirge, Andreas Arnold, hat Thierse wegen dessen Kritik am Polizeieinsatz sogar wegen Beleidigung angezeigt. Thierse, gegen den nun ermittelt wird, wies die Vorwürfe empört zurück.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, fand dennoch deutliche Worte: „Thierse ist eine Schande für das deutsche Parlament“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT und forderte den SPD-Politiker zum Rücktritt auf. Diesem sind derartige Forderungen vertraut. Bereits im Mai 2010 hatte Wendt ihn nach einer Sitzblockade gegen eine Demonstration in Berlin zum Rücktritt aufgefordert. Damals hatte auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gesagt, es sei auf Dauer nicht zu akzeptieren, daß sich Thierse zur Straßenblockade einfinde und die Arbeit der Polizei behindere, wenn es um Rechts gehe, bei Linksextremismus aber schweige.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ging nun auf Distanz zu Thierse. „Sein Rückhalt ist geschwächt. Er muß damit rechnen, in Zukunft von der Polizei nicht mehr ernstgenommen zu werden“, sagte GdP-Chef Bernhard Witthaut der JF. Thierse habe den Rechtsstaat offen in Frage gestellt.

Sachsens Innenminister Martin Ulbig hat unter dem Eindruck der Ausschreitungen eine Diskussion über die Protestkultur angekündigt. Der CDU-Politiker will eine Gradwanderung versuchen: ein Verbot von Kundgebungen und Aufmärschen offensichtlich gewaltbereiter Kräfte, ohne das Demonstrationsrecht selbst zu beschneiden. Wie das funktionieren könnte, soll eine Debatte zwischen Staats- und Verfassungsrechtlern, Richtern, Polizisten und Politikern klären.

Man wolle Aufklärung über die Möglichkeiten und Grenzen des Rechtsstaates, sagte CDU-Fraktionschef Steffen Flath, der von einem „rechtspolitischen Dilemma“ sprach: „Das hohe Gut der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit gilt auch für diejenigen, denen man es eigentlich nicht einräumen möchte.“ Das angekündigte Symposium unterstützen auch Politiker der Bündnisgrünen und der Linkspartei. Im sächsischen Landtag sollen die Ausschreitungen auch zum Thema werden. Dabei dürfte auch zur Sprache kommen, daß Politiker von SPD, Bündnisgrünen und Linkspartei, darunter eben auch Wolfgang Thierse, stets in vorderster Front stehen, wenn es um die Verhinderung rechtmäßiger Demonstrationen Andersdenkender ging.

Es sei an der Zeit, daß „Linke, SPD und Grüne endlich ihr Verständnis zum Rechtsstaat, zur Versammlungsfreiheit und zu politischen Extremisten klären und erklären“, sagte FDP-Fraktionschef Holger Zastrow. Linksgrüne Politiker hätten wiederholt und im vollem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ihrer Handlungen versucht, genehmigte Demonstrationen zu blockieren: „Gerichtsentscheidungen werden ignoriert, Recht wird bewußt gebrochen, man sitzt in der ersten Reihe illegaler Blockierer.“

Gegenstand polizeilicher Ermittlungen ist derweil die Parteizentrale der sächsischen Linken. Wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs hatte die Polizei das Gebäude, in dem auch das Bündnis „Dresden nazifrei“ seinen Sitz hat, noch am 19. Februar gestürmt und Telefone, Computer und Speichermedien beschlagnahmt. Die Razzia war von der Staatsanwaltschaft angeordnet worden, da vermutet wird, daß von hier aus Sitzblockaden sowie Angriffe auf Rechtsextremisten und Polizisten koordiniert wurden. Auch werden zur Zeit Anklagen gegen 70 linke Gegendemonstranten, darunter auch mehrere Politiker, vorbereitet, die an Sitzblockaden teilgenommen und so gegen das Versammlungsrecht verstoßen hatten. Aufklärung bringen soll eine von der Polizei gebildete Sonderkommission.

Bei Angriffen von zumeist linksextremistischen Gewalttätern auf Polizisten waren am 19. Februar 82 Polizisten in der sächsischen Landeshauptstadt verletzt worden.

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