© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

„Ihr seid meine Staatsbürger“
Integration: Der türkische Ministerpräsident Erdogan hält in Düsseldorf eine Wahlkampfrede
Henning Hoffghaard

Atemlose Stille. Dann brechen 12.000 Menschen plötzlich in frenetischen Jubel aus. Die Halle bebt. „Ihr Ministerpräsident“ betritt endlich den Saal. Wie ein Popstar wird er gefeiert. Dazu werden Tausende kleine und große türkische Flaggen geschwenkt. Die Szene spielt sich nicht etwa in Istanbul oder Ankara ab, sondern im „ISS Dome“ in Düsseldorf. Es ist Recep Tayyip Erdogan, Ministerpräsident der Türkei, der sich da auf der Bühne feiern läßt.

Noch einige Stunden zuvor deutet in der Rheinmetropole nichts auf diese schrille Veranstaltung hin. Das Wetter ist schlecht an diesem Sonntag, nur wenige zieht es auf die Straßen. Vom Besuch eines ausländischen Staatsgastes bekommt kaum jemand etwas mit. Einzig eine Reihe von Plakaten weist auf das kommende Ereignis hin. Sie zeigen Erdogan und den Schriftzug „Unser Ministerpräsident ist in Düsseldorf“. Die meisten Deutschen werden sie allerdings kaum verstehen. Die Mehrzahl ist auf türkisch.

Plakatiert wurde auch in Köln. Dort hatte Erdogan vor drei Jahren gesprochen. Vor einem ausschließlich türkischen Publikum und ganz ohne deutsche Übersetzung. Die Folge seiner Kölner Rede waren deutschlandweite Diskussionen über die Integration. Besonders die Äußerung, Assimilation sei ein Verbrechen gegen die Menschenrechte, hatte für Empörung gesorgt.

All das ist drei Jahre später vergessen. Ein türkischer Dönerverkäufer in der Nähe des Hauptbahnhofs freut sich schon auf „seinen Ministerpräsidenten“. Nicht so sehr wegen dessen politischen Ansichten, als vielmehr wegen der zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen.

Auf dem Weg zur Veranstaltungshalle stehen Dutzende Polizeiwagen am Straßenrand. „Das alles nur wegen dem scheiß Türken“, murmelt ein Radfahrer im Vorbeifahren. Die ersten Zuschauer warten schon Stunden vor Beginn der Veranstaltung auf Einlaß. Hitzige Diskussionen brechen aus, als manche nicht hineingelassen werden. Ein türkischer Ordner erzählt, ihnen sei von ihrem Moscheeverein versichert worden, sie ständen auf einer Namensliste und bräuchten deshalb keine Eintrittskarten. Eine „Riesensauerei“ nennt er das. Verärgert zeigt er auf einen Mann, der über den Platz läuft und für eine neue Moschee sammelt. „Wieso kümmert der sich nicht um die abgewiesenen Leute, die jetzt hier in der Kälte stehen?“ Dort stehen auch einige Dutzend Demonstranten von Pro NRW. Die Bürgerbewegung hatte zu einer Mahnwache aufgerufen. Eine kurdische Demonstration soll 600 Personen stark gewesen sein und die assyrische Gemeinde konnte etwa 200 Personen mobilisieren.

Die Stimmung in der Halle heizt sich unterdessen schnell auf. Viele haben sich in Türkei-Fahnen gehüllt. Stolz berichtet Akin Canavar, er sei schon in Köln dabeigewesen. Er wünscht sich von Erdogan klare Worte gegen die Diskriminierung der Türken in Deutschland. Seine Kinder hätten es viel schwerer, einen Arbeitsplatz zu finden, als deutsche Jugendliche. Ein anderer beschwert sich über den Rassismus, er fühle sich in Essen einfach nicht mehr wohl. Die meisten Besucher sind ältere Herren um die Sechzig. Aber auch viele junge Männer haben sich eingefunden. Frauen, zumeist mit Kopftuch, sind eher eine Randerscheinung. In der Halle liegen an fast jedem Platz türkische Flaggen. Auch ein paar deutsche Flaggen hat man hingelegt, aber die erfreuen sich ähnlich geringer Beliebtheit wie die deutsche Nationalhymne. Als sie gespielt wird, herrscht Schweigen. Ganz anders bei der türkischen Hymne, die von den 12.000 Besuchern in ohrenbetäubender Lautstärke mitgesungen wird.

Inhaltlich hat Erdogan wenig Neues zu sagen. Er erklärt sich zum Vertreter der Auslandstürken in aller Welt. „Egal was die anderen sagen, ihr seid meine Staatsbürger.“ Er verweist auf die Erfolge der türkischen Einwanderer, die Deutschland als Ärzte und Ingenieure bereichern würden. Dann redet er von der neuen Position der Türkei, die es ihm erlauben würde, die Weltpolitik mitzubestimmen. Es folgt eine Aufzählung zahlreicher Bauvorhaben, die er angestoßen habe. Die Botschaft lautet, schaut auf dieses Land und seid stolz darauf.  Dann kommt er zum mit Spannung erwarteten Thema Integration. Er fordert die Türken auf, erst Türkisch zu lernen und dann Deutsch. Integration ja, aber Assimilation nein. Es sind fast die gleichen Worte wie in Köln. Er beruft sich auf die Menschenrechte und die Demokratie. Niemand könne die Türken zwingen, sich von ihrer Kultur zu lösen.

Beunruhigt sei er über die angebliche Ausländerfeindlichkeit in Deutschland. Er fordert die Politiker auf, Ausländerfeinde ins gesellschaftliche Abseits zu stellen. Am Ende ruft er seine „lieben Brüder und Schwestern“ noch auf, sich mehr in die Politik einzumischen.

Dann fällt Konfetti vom Himmel und Erdogan wird gefeiert. Am Montag fährt ihr Ministerpräsident dann zu unserer Kanzlerin. Seine Forderungen hat er an diesem Abend auf den Tisch gelegt. Daran wird er sich messen lassen müssen, wenn er die Stimmen der 1,5 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland bekommen will. Wegen denen ist er schließlich gekommen.

Foto: Tausende Türken feiern am Sonntag in Düsseldorf den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan: Frauen mit Kopftuch

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