© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

Politische Propaganda
Halbe Wahrheiten
Klaus Motschmann

Halbe Wahrheiten sind bekanntlich schlimmer als ganze Lügen, weil sie in der Regel nicht auf Klärung eines umstrittenen Sachverhalts abzielen, sondern auf dessen Verklärung; nicht auf umfassende Information, sondern auf täuschende Desinformation. Die jahrzehntelange Praxis dieser Strategie und Taktik der sogenannten „Desinformatia“ kommunistischer Agitation hat dazu geführt, daß inzwischen selbst führende Funktionäre der politischen und intellektuellen Linken keine zuverlässige Auskunft über den „richtigen Weg“ zum Kommunismus geben können.

So zum Beispiel die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, in einer vielbeachteten Rede vor Parteimitgliedern. Gregor Gysi versuchte wenigstens zu erklären, was die Linke angeblich nicht anstrebt. Zum wiederholten Male erklärte er, daß die Linke keine kommunistische Partei sei und auch keine kommunistische Gesellschaftsordnung anstrebe. In einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel erklärte Gysi wörtlich: „Ich verspreche Ihnen: weder in unserer politischen Praxis noch in unserem Programm wird der Begriff des Kommunismus auftauchen. Am Charakter unserer Partei hat sich nichts geändert. Wir sind keine kommunistische Partei und werden auch keine sein.“

Diese Aussage ist in einem sehr formalen (!) Sinn richtig und sollte deshalb zunächst auch nicht bestritten werden. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß sie einem alten Grundsatz kommunistischer Taktik entspricht, weil sich die Ziele linker Politik der Mehrheit unseres Volkes tatsächlich nicht mehr erklären lassen. Dafür eignen sich noch immer – oder schon wieder – politische Schlüsselbegriffe wie „Frieden“, „Sozialismus“, „wahre Demokratie,  „soziale Sicherheit“, „konsequenter Antifaschismus“ und andere narkotisierende Euphemismen. Was bedeuten diese Begriffe also konkret? Zu erinnern ist an das bedenkenswerte Wort Friedrich Nietzsches, daß in hundert Jahren derjenige regieren wird, der die Begriffe definiert – oder aber nicht definiert.

Ganz offensichtlich sind sich die maßgebenden Funktionäre der Linken der einstmals selbstverständlichen Mindeststandards verantwortlicher Publizistik nicht mehr bewußt, oder aber sie täuschen die öffentliche Meinung wissentlich. In dem einen wie dem anderen Fall tragen sie zum weiteren Verfall der politischen Glaubwürdigkeit bei.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin

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