© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Mitte-Anmaßungen des „Volksganzen“
Josef Schüßlburners hellsichtige Analysen zum „konsensdemokratischen“ Parteiensystem
Timo Pretzsch

Die CDU ist die Volkspartei der Mitte.“ Mit dieser schon etwas angestaubten Wahlwerbung bekennt die Merkel-Partei, daß sie eigentlich nicht demokratiefähig ist. Denn, so beginnt der Bonner Regierungsdirektor Josef Schüßlburner als guter Jurist seinen Essay über „Konsensdemokratie“ mit einer Definition: maßgebliche Größen in einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie seien allein die Verortungen „Links“ und „Rechts“. Für die „Mitte“ ist da kein Platz.

Die Parteigründer scheinen den hemmungslosen Drang zur Mitte hellsichtig vorausgesehen zu haben. Denn anders als SPD oder FDP nennt sich die CDU nicht „Partei“, sondern, wie Schüßlburner meint, „etwas mysteriös“ und doch konsequent „Union“. Auch hierin käme die „Mitte-Anmaßung“ einer politischen Partei zum Ausdruck, die sich als Teil für das Ganze setze.

Der allein demokratiekonforme Pluralismus werde damit jedenfalls negiert. Schlimmer noch: „Vordemokratische und vormoderne Denkmuster“ würden von der „Mitte“-Ideologie der Union tradiert. Und wie ihr Vorläufer, die Partei des katholischen Zentrums, ihren außerhalb der Verfassungsgefüge von Kaiserreich und Weimarer Republik liegenden Bezugspunkt „ultramontan“ in Rom fand, sei es kaum verwunderlich, wenn sich die CDU nicht der Souveränität des deutschen Volkes und Nationalstaats, sondern der „postdemokratischen Europa-Idee naturgemäß besonders verpflichtet weiß“.

Nun könnte man solche begriffshistorischen Fingerübungen als Beschäftigung mit Randphänomenen des politischen Systems abtun. Tatsächlich führen sie jedoch bei dem an Hegel und Carl Schmitt geschulten Schüßlburner fast unversehens dazu, die reale Verfassungsstruktur der Bundesrepublik, die bestehende Herrschaftsordnung und Machtverteilung durchsichtig werden zu lassen. Der Analytiker geht dabei von einer „Natur des Politischen“ aus, die in dessen „antagonistischem Charakter“ liege.

Konsenspolitik der Mitte zugunsten der Linken

Aus dem demokratisch organisierten Gegeneinander politischer Parteien ergäbe sich daher ebenso „natürlich“ die „Asymmetrie von Mehrheit und Minderheit“, die „hegemoniale Stellung“ der Wahlsieger über die Verlierer. Und „aus anthropologischen Gründen“, so setzt Schüßlburner voraus, entstünde dabei „normalerweise eine rechte Hegemonie“. Vergleichbar mathematischen Axiomen, glaubt er diese Ausgangspositionen nicht weiter explizieren zu müssen, so daß der Leser selbst „rechte Hegemonie“ mit dem eigentlichen Interesse des Volkssouveräns und seines Nationalstaats identifizieren muß.

In der Bundesrepublik ist dieses politische Naturgesetz aber außer Kraft gesetzt. Denn es gebe keine Partei, die als Wahrer des nationalen Interesses die „normale“ rechte Hegemonie erringen könne. Die die Vertretung des „Volksganzen“ vorgebende „Partei der Mitte“ treibe nämlich faktisch „Konsenspolitik“ zugunsten der Linken. Sie teile mit ihr auch die Orientierung an den anationalen, universalistischen Bezugsgrößen „Europa“ und „Menschheit“. Der von der CDU mit Passion verfochtene „Kampf gegen Rechts“ stelle daher keine Verirrung dar, sondern ergebe sich mit beinharter Logik aus dem Selbstverständnis dieser antideutschen, tendenziell totalitären „Mitte-Links-Partei“.

Ob, wie Schüßlburner optimistisch verheißt, die „natürliche“, die „anthropologische Realität“ diese „Gewaltherrschaft der Linken“ eines Tages aufbricht und „demokratieadäquate rechte Lösungen erzwingt“, scheint indes auch dann fraglich, wenn man von seinem vielleicht zu idealistischen Volksbegriff absieht und unterstellt, daß einerseits die Substanz für diese „Lösungen“ nicht schon aufgebraucht sein könnte, und andererseits „die Kosten, die diese Mitte verursacht“, von einer Mehrheit endlich als zu hoch empfunden würden. Oder läßt die konstante Zustimmung zur Politik der CDU und der anderen Linksparteien nicht vielmehr befürchten, daß inzwischen der „Ausverkauf Deutschlands“, die Politik der „Selbstabschaffung“, dem Willen des „Souveräns“ entspricht?

Sollte es in späteren Generationen überhaupt noch ideengeschichtliches Interesse geben, dann dürfte es sich nicht auf die Schriften der Kohorten von Systembetonierern vom Schlage Andreas Voßkuhles (des derzeitigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts) konzentrieren, sondern auf Selbstdenker vom Typus Schüßlburner, die unter semi-totalitären Verhältnissen den Mut aufbrachten, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Mit anderen Worten: Dieser großartige Essay zählt zur nationalen Pflichtlektüre.

Josef Schüßlburner: Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen „Mitte“. Kaplaken Band 24. Edition Antaios, Schnellroda 2010, 80 Seiten, 8 Euro

Foto: Mutti der Mitte: Politisch nicht der Souveränität des deutschen Volkes oder des Nationalstaats, sondern der „postdemokratischen Europa-Idee“ verpflichtet

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