© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Pure fool Parsifal
Oper: Wagners geheimnisvollstes Werk wird im London Coliseum gegeben
Sebastian Hennig

In Deutschland kommt es einem Sakrileg gleich, eine Oper von Händel oder Gluck in deutscher Sprache singen zu lassen. Aber bis vor vierzig Jahren war auch hierzulande die naive Anteilnahme am Schicksal eines Orfeus und Ezio einen geringen Übersetzungsverlust wert. Inzwischen ist der rein artifizielle Nachvollzug der künstlerischen Textur, die historische Praxis, die Werktreue bei der alten Musik zur Doktrin geworden.

Die andere Seite der Medaille beinhaltet, daß die romantischen Bühnenwerke zwangsläufig modernisiert werden. Die English National Opera in London bringt dem Publikum die Höhepunkte des Musiktheaters von Monteverdi bis Wagner konsequent durch seine Muttersprache nahe. Gerade bei Richard Wagner ist das, eine leidliche Übertragung vorausgesetzt, im anglophonen Raum von besonderer Delikatesse. Man denke nur an den Wagner-Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, der den „Ring des Nibelungen“ zum Anlaß nahm, erst mit den Versen die deutsche Sprache zu erlernen und dann anhand der Partitur die Notenschrift.

Schon zwei Jahre nach der Uraufführung in Bayreuth erklang „Parsifal“ in einer konzertanten Darbietung in der Royal Albert Hall. Und zwei Jahre nach Ablauf der Sperrfrist war das geheimnisvolle Werk 1914 auf der Bühne in Covent Garden zu sehen. Die Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff ist nun bereits Teil der englischen Rezeptionsgeschichte dieses Werkes geworden. Der Independent bezeichnete sie im Jahr der Premiere 1999 als die intelligenteste und bewegendste Darstellung des Stückes, welche die Hauptstadt je gesehen hat.

Nun wird die Rückkehr der Inszenierung an den Ausgangspunkt zum Ereignis der Saison. Die Produktion war in den USA ein grandioser Erfolg. 2004 wurde von drei Vorstellungen in Baden Baden eine DVD-Edition zusammengestellt. Danach führte der Siegeszug weiter an das Gran Teatre de Liceu in Barcelona.

Am Mittwoch voriger Woche wurde das Stück in dieser Fassung mit einer Auslese der britischen Wagner-Sänger für insgesamt acht Vorstellungen in London wieder aufgenommen. Das Englische verleiht dem erzählerischen und langsam verlaufendem ersten Aufzug ein eigenwillig archaisierendes Gepräge. In Deutsch gesungen ragt der „Parsifal“ hoch über das sentimentale Niveau von Paul Heyse und Hans von Makart. Bei der englischen Fassung dagegen drängt sich das Mittelalterbild des John Ruskin und die Ritterwelt des Edward Burne-Jones auf. Zudem mutet die Übersetzung einiger Stellen sehr plump an. Wo Gurnemanz den Knappen Bescheid gibt: „Das ist ein Andres; – jedem ist’s verwehrt. –“, singt Sir John Tomlinson: „That is forbidden. No one is allowed.“

Keine Sprache ist einerseits so reich an Worten und wird andererseits durch permanente Nutzung eines minimalen Depots an Sätzen so banalisiert wie die englische. Da klingt es schon drollig, wenn Stuart Skelton als Parsifal verkündet: „I shall now perform your task.“ Dazu legt er die Krone, die er von Amfortas (Ian Paterson) erhielt, dem Leichnam Titurels (Andrew Greenan) auf die Brust.

Bühnenbild und Kostüm halten den Raum für Assoziationen offen, ohne auf vordergründige Details festgelegt zu sein oder in Unverbindlichkeit zu verpuffen. Klingsor (Tom Fox) thront als eine schrille Geisha im Inneren eines riesigen weiblichen Beckens, unter dem Kundry (Jane Dutton) liegt. Die Knappen, welche sie am Anfang des Stückes bedrängen, wirken wie marodierende Rotarmisten, die erschöpften Ritter am Ende wie Wehrmachtssoldaten im russischen Winter. Gurnemanz in hochgeschlossener Kutte wirkt wie Padre Pio. In einer betongrauen Wand ist ein gewaltiger Meteor eingeschlagen, der am Beginn der heiligen Handlung zurückfährt und in federleichter Bewegung zu rotieren beginnt. In der grauen Piste reißt schließlich eine schmale vertikale Bahn aus kühl gelb-grünem Licht auf. Die gleiche Stelle gleißt in Klingsors Zaubergarten in brünstigen Rot-Gelb-Tönen.

Während die Leistung der Sänger durchweg beeindruckt und besonders im zweiten Akt eine dramatische Spannung bewirkt wird, die zu den raren Erlebnissen gehört, klang das Orchester unter der Leitung von Mark Wigglesworth oftmals stockend und seltsam metallisch. Das gravitätische Pathos der Händelschen Opern und die Eruptionen Mahlers entsprechen wohl der britischen Orchestertradition mehr als der spätromantische Schmelz Wagners.

Das Geschehen auf der Bühne erschloß dafür ungeahnte dramatische Reserven eines handlungsarmen Stückes. Selten ist das heikle Musikdrama um Verstrickung und Erlösung, die Beziehung zwischen der raffinierten Frau und dem reinen Toren so schlüssig dargestellt worden. Am Karfreitag erscheint Parsifal in einer starrenden, schwarzglänzenden Samurai-Montur. Nachdem er, wie „Hans mein Igel“ aus dem Grimmschen Märchen, dieses Stachelkleid abgetan hat, bildet er mit Kundry eine Gruppe von friedlicher Zutraulichkeit.

Der 1939 in Hannover geborene Nikolaus Lehnhoff wird zu Recht geschätzt für die unaufdringliche Art, mit der es ihm gelingt, die innere Natur der Werke freizulegen. Er wurde noch von Wieland Wagner in Bayreuth an das Gesamtkunstwerk des Meisters herangeführt. Ein Höhepunkt seiner Laufbahn war die Inszenierung der Nibelungen-Tetralogie in einem Bühnenbild nach Caspar David Friedrich in San Francisco.

2011 ist ein bedeutendes Jahr für die Wagnerianer auf der Insel. Denn im Sommer wird während des renommierten Glyndebourne Festival in Sussex das erstemal „Die Meistersinger von Nürnberg“ (21. Mai bis 26. Juni) aufgeführt.

Foto: Amfortas (Ian Paterson): Ein eigenwilliges archaisierendes Gepräge

Die nächsten Parsifal-Vorstellungen im London Coliseum, St. Marton’s Lane, finden statt am 27. Februar sowie am 1., 4., 8. und 12. März. www.eno.org

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