© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Die eigene Identität
Kelten und Etrusker: Ausstellung in Frankfurt am Main
Karlheinz Weissmann

Mitten im Hauptausstellungsraum steht eine Art Säule, in die Bildschirme eingelassen sind. Gezeigt werden darauf kurze Filmsequenzen: eine Hochzeitsfeier, ein Priester mit der Monstranz vor Gottesdienstbesuchern, ein Schütze, der auf Hasen jagt, eine Dorfgemeinschaft beim Umtrunk, Sportler beim Wettkampf. Was hat das alles mit „Bilderwelten zwischen Kelten und Etruskern“ zu tun? Antwort: Die aktuelle Ausstellung des Archäologischen Museums in Frankfurt am Main will unter dem Titel „Fürsten – Feste – Rituale“ zeigen, daß es um ein Phänomen der longue durée, der langen Dauer, geht: die Art, wie man sich der eigenen Identität versichert, welche gesellschaftliche Bedeutung der Wettkampf hat, wie die Stellung in der Hierarchie bestimmt, wie der Abstand der Elite gegenüber der Masse inszeniert wird, hat sich in den vergangenen zweieinhalbtausend Jahren selbstverständlich geändert, weist aber auch ein verblüffendes Maß an Kontinuität auf.

Zwar haben wir heute keinen unmittelbaren Eindruck mehr von den damaligen Verhältnissen, aber immerhin einen mittelbaren aufgrund der Überreste, die aus einer Phase der Antike stammen, die nach üblicher Auffassung bestimmt ist von der Blütezeit Griechenlands; Rom stand erst am Anfang seiner Geschichte. Was man in Frankfurt zu sehen bekommt, überzeugt allerdings davon, daß es einen eigenen hochkulturell geprägten Raum gab, der sich von Norditalien bis nach Westfrankreich, Süddeutschland und das böhmisch-mährische Gebiet beziehungsweise den Balkan erstreckte und durchaus unsere Aufmerksamkeit verdient. Für die relative Einheitlichkeit der Ausdrucksformen spielten die Etrusker eine wichtige Rolle als Schöpfer und Anreger, die Kelten als Vermittler. Erstaunlich ist jedenfalls die Ähnlichkeit der Stilelemente auf Funden aus der Toskana, Burgund, Österreich, Hessen, Ungarn oder Slowenien, die Sorgfalt, mit der vor allem Waffen und Rüstung, Pokale und andere Metallgegenstände gearbeitet waren.

Selbstverständlich spielte dabei griechischer Einfluß eine Rolle, nicht zuletzt im Hinblick auf das, was die Hauptstücke der Ausstellung betrifft, die „Situlen“ (von lateinisch situla für „Kübel“), prächtig ausgestattete bronzene Gefäße, die oft mit langen, detailverliebten Bilderreihen geschmückt waren, die die Anlässe darstellten, zu denen sie benutzt wurden, von der Forschung hilfsweise „Situlen-Feste“ genannt. Man trug oder fuhr die Situlen bei solchen Gelegenheiten an großen Holzgestellen aufgehängt herein, damit sie bei den feierlichen Zusammenkünften der Oberschicht zur Verfügung standen, für die Weingenuß und Gespräch, Ruhmrede und Kult, Gericht und Repräsentation gleichermaßen wichtig waren.

Die Ähnlichkeit des Situlen-Festes mit dem antiken Symposion ist auffällig. Allerdings muß man wegen der bildlichen Darstellungen, die uns als einziger Beleg zur Verfügung stehen, den Eindruck gewinnen, daß der Charakter deutlich archaischer war, auch stärker von religiösen (und möglicherweise erotischen) Aspekten bestimmt. Das entspräche dem Gesamteindruck, den man auch sonst von der eisenzeitlichen Kultur Mitteleuropas erhält, die in vielem stärker an die heroische als an die klassische Zeit Griechenlands erinnert – vor allem in bezug auf die Betonung von Krieg, Einzelkämpfertum, Körperlichkeit, Agon –, aber auch Elemente enthielt, die von dauernder Bedeutung blieben, vor allem für Selbstverständnis wie Selbstdarstellung der Aristokratie des alten Europa.

Die Ausstellung „Fürsten – Feste – Rituale. Bilderwelten zwischen Kelten und Etruskern“ wird noch bis zum 20. März im Archäologischen Museum Frankfurt am Main, Karmelitergasse 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, gezeigt. Der Katalog kostet 10 Euro. Telefon: 069 / 212-358 96

www.archaeologisches-museum.frankfurt.de

Foto: Erotische Szene auf Situalfragment: Hochkulturell

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen