© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Sturmwarnung für die Festung Europa
Demographie und Sicherheitspolitik: Die Wirren im „jungen“ Nordafrika setzen den „alten“ Kontinent unter Druck / Jugend als Machtinstrument
Michael Wiesberg

Die Alleinherrscher Arabiens wanken. Das Volk rebelliert, und die Potentaten wirken alt und müde. Spätestens mit ihrem Abritt geht etwas verloren, das Europa sehr am Herzen liegt: Die Türsteherfunktion der Potentaten, die Euro-pa in puncto illegale Migrationsströme zwar einiges Geld kostete, aber dafür einigermaßen ruhig schlafen ließ.

Spätestens der Schock von Lampedusa, als vergangene Woche über Nacht mehr als 5.000 illegale Migranten aus Tunesien auf dem italienischen Eiland landeten, läßt Fragen offen. Droht der Ansturm der Millionen jungen Menschen aus Nordafrika, die ohne Arbeit, ohne Zukunftsaussichten ihr Heil in den EU-Ländern suchen? Für Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, ist die Antwort klar: „Mit dem Sturz der Diktatoren Nordafrikas wird der Flüchtlingsstrom nach Europa massiv wachsen“, erklärte er gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung und setzte den Ausbau der Festung Europa auf die politische Tagesordnung.

Doch wie sicher kann sich Europa noch fühlen? Parallel zu steigenden Einsätzen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeerraum und eher hilflos erscheinenden EU-Hilfsprogrammen stehen sich plötzlich die „alte“ europäische Gesellschaft und die „junge“ nordafrikanische Aug in Aug gegenüber. Der demographische Druck scheint angesichts von über 50 Prozent junger Menschen unter 25 in den arabischen Staaten immens. Und die sicherheitspolitischen Herausforderungen ebenso.

Mit dem Sturz der Despoten wächst der Migrantenstrom

Das Bonmot, daß Demographie Schicksal sei, wird Napoleon Bonaparte zugeschrieben. Wieviel Wahrheitsgehalt mit dieser Einsicht aber verbunden ist, untersucht die Studie „Die demographische Dreiteilung der Welt“ der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie beleuchtet die globalen demographischen Trends und die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Für Europa heißt das: Aufpassen. Trotz Zuwanderung wird eine Bevölkerungsschrumpfung von heute 744 Millionen auf 691 Millionen Menschen im Jahr 2050 hochgerechnet.

Dieser Schrumpfung wird „eine umfassende Alterung“ vorangehen, die aus Europa im wahrsten Sinne des Wortes einen „alten Kontinent“ macht. Alter Kontinent? Hierbei weisen die Autoren der Studie, Steffen Angenendt und Wenke Apt, auf das Medianalter als demographischen Maßstab. Demnach beträgt das Medianalter weltweit aktuell 29 Jahre. Im Jahr 2050 soll es auf 39 Jahre ansteigen. In Europa aber wird das Medianalter von jetzt 40 auf 47 Jahre ansteigen.

Dieses alte Europa wird den jungen Gesellschaften wenig entgegenzusetzen haben. Denn alternde Gesellschaften, so die Studie weiter, neigen „eher zu einer friedlichen Bewältigung von Krisen und Konflikten als demographisch jüngere“. Als Ursachen benennen Angenendt/Apt eine „stärker ausgeprägte Risikoversion“, eine „größere Sensibilität für Tod und Verwundung“, eine „wachsende Dominanz von Wohlfahrtsthemen im politischen Diskurs zu Lasten außenpolitischen Engagements“ sowie die „Umverteilung von Mitteln des Staatshaushalts zu Lasten außenpolitischen Engagements“.

„Um Brot wird gebettelt, um Macht wird geschossen“

Demgegenüber gelten die jungen Gesellschaften in den arabischen Staaten als weitaus konfliktanfälliger. Es besteht offensichtlich ein Zusammenhang zwischen dem „relativen Anteil der männlichen Jugendbevölkerung“ und der „Häufigkeit innerstaatlicher Unruhen und Bürgerkriege“. Hiermit wird direkt auf die Diskussion um das „Youth bulges“-Phänomen („Jugendüberhang“) angespielt. Die Dynamik von „youth bulges“ entfaltet ihre Brisanz nicht in der Frage des „Sattwerdens“, sondern im Kampf um die Positionen in einer Gesellschaft. Diese Positionen lassen sich nämlich nicht beliebig vermehren.

Der „ewige Jungmännerzorn“ (Gunnar Heinsohn) ist eine Melange aus „ökonomischer Unterbeschäftigung, sexueller Frustration und demographischer Überzähligkeit“; eine Melange, die der Sozialwissenschaftler Gunnar Heinsohn zuspitzt: „Um Brot wird gebettelt, um Macht wird geschossen.“ In vielen Staaten bestehe deshalb auch laut SWP-Studie die Gefahr der Entstehung „rebellischer und gewaltbereiter Strömungen“. Kämpfe um Ressourcen, aber auch schwache staatliche Strukturen können demnach das Aufkommen von Rebellenorganisationen begünstigen. Schon von daher setzt die prognostizierte Reduzierung der Verteidigungsfähigkeit alternder Gesellschaften ein dickes Ausrufezeichen.

Außenpolitisch kann ein „überproportional großer Anteil junger Männer“ auch dann zu einem Risiko werden, wenn deren „vermehrte Rekrutierung“ für Militär und Polizei zur „Ausweitung regionaler Machtansprüche“ verleite. Sicherheitsrelevant, weil „konflikttreibend“, können aber auch – und hier denkt man unter anderem an die islamische Zuwanderung nach Europa und damit auch nach Deutschland – Ungleichgewichte in der ethnischen Zusammensetzung einer Bevölkerung werden, wenn sie „durch ungleiches Geburtenverhalten der Bevölkerungsgruppen verstärkt werden“. Als Beispiele führen die Autoren den Kosovo und vor allem Palästina an, wo die arabische Bevölkerung um 2050 deutlich größer sein wird als die jüdische und wo Geburtenrate respektive Zuwanderung auch als „Waffe“ im Kampf um Territorium und Mehrheit verstanden werden. Diese Beispiele sind zweifellos auch ein Menetekel für das alternde Europa. Vor allem auch deshalb, weil die Zahl der Muslime laut einer aktuellen Studie des US-Forschungsunternehmens Pew Research Center auch ohne signifikante Migrationsströme in allen westeuropäischen Ländern bis ins Jahr 2030 steigen wird. So in Großbritannien von 2,9 auf 5,6 Millionen Muslime, in Frankreich von 4,7 auf 6,9 Millionen und in Deutschland von 4,1 auf 5,5 Millionen (insgesamt von 18,3 auf 29,8 Millionen) anwachsen wird.

Steffen Angenendt/Wenke Apt: Die demographische Dreiteilung der Welt. SWP-Studie, Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2010  www.swp-berlin.org 

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