© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Ausweitung der Einflußzone
Islamische Herausforderung: Ein paralysiertes Europa reagiert mit ahnungsloser Geschwätzigkeit
Kurt Zach

Was ist der Islam? Über kaum ein Thema wird in Deutschland und Europa leidenschaftlicher aneinander vorbeigeredet. Millionen Muslime leben in allen größeren europäischen Ländern als Staatsbürger oder dauerhaft Aufenthaltsberechtigte. Der islamischen Frage im eigenen Haus begegnen die politisch-medialen Eliten mit ähnlich ratloser Geschwätzigkeit wie der geopolitischen Herausforderung an der Gegenküste des Mittelmeers: Der Zusammenbruch der autoritären Regime im muslimischen Nord-afrika erhöht schon jetzt den Wanderungsdruck junger islamischer Einwanderer nach Europa und schafft neue politische Verhältnisse im mediterranen Hinterhof des alten Kontinents, die ungewisser, weniger steuerbar und im Zweifelsfall islamischer sein dürften als die jahrzehntelang gewohnten.

Die Naivität, mit der westliche Kommentatoren in den nordafrikanischen Umbrüchen ein zweites 1989, ein weiteres Kapitel im universalen Siegeszug der westlichen Demokratie erblicken wollen, verrät vor allem eines: Man weiß in vielen Redaktionsstuben und Staatskanzleien noch immer nicht, worin die islamische Herausforderung an die westliche Welt tatsächlich besteht. Im Kern geht es nämlich um den „Islam als politisches Modell“ (Karlheinz Weißmann), um die gesellschaftlichen und staatspolitischen Implikationen einer Religion mit Massenbasis, die anders als das aufgeklärte Christentum europäischen Zuschnitts den Staat nicht als unabhängig von der Religion bestehendes politisches Gemeinwesen zu denken vermag.

Daß also an der südlichen Mittelmeerküste demnächst eine Kette westlicher Demokratien mit arabisch-muslimischer Bevölkerung entstehen könnte, hätte letztlich eine weitgehende Reformation und Säkularisierung zur Vorbedingung. Darauf deutet im Moment wenig hin. Wahrscheinlicher ist, daß der wachsende Einfluß der Volksmassen zur Entstehung von islamistischen Scharia-Staaten führt. Wer das Offensichtliche ausspricht, steht schnell – wie die Islamkritikerin Necla Kelek bei ihrem andauernden Disput mit dem FAZ-Feuilletonisten Patrick Bahners – als Spielverderber da. Doch besser Spielverderber als Traumtänzer.

Denn die Herausforderung des politischen Islam besteht nicht nur vor den Toren Europas, sondern ist längst im eigenen Haus angekommen. Mit dem Islam ist ein religiös-politisches System nach Europa und Deutschland gelangt, das den Absolutheitsanspruch der religiösen Offenbarung über jedes irdische Recht und Gesetz stellt und verlangt, daß sich die politische Ordnung nach der religiösen richtet. Das macht den Islam, in den Worten Ernst Noltes, zur dritten großen totalitären Herausforderung.

Mit liberalem Kulturrelativismus ist dieser Herausforderung nicht beizukommen. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Christentum und Islam als Religionen mit ihren je eigenen Gehorsamsforderungen auf eine Stufe stellt, ignoriert en passant ein halbes Jahrhundert abendländischer Aufklärungsgeschichte seit der Reformation. Es geht in der Auseinandersetzung mit dem Islam aber gerade nicht um individuelle Religionsfreiheit, sondern um Gruppen- und Sonderrechte, die aus einem religiösen Überlegenheitsanspruch abgeleitet werden.

Mit seinem fatalen Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, hat Bundespräsident Wulff daher eben nicht einfach bloß die Tatsache angesprochen, daß Millionen Individuen muslimischen Glaubens in Deutschland anwesend sind, sondern ein politisch-religiöses System eingemeindet, das mit seinem Anspruch auf Kollektivrechte in direkter Konkurrenz zu jener Verfassungsordnung steht, deren oberster Repräsentant Wulff noch ist.

Wohlgemerkt: Nicht die einzelne Kopftuchträgerin, nicht der einzelne fromme Muslim beim Freitagsgebet in seiner Moschee ist der Feind unserer Freiheit und unseres demokratisch verfaßten Gemeinwesens. In dieser Hinsicht ist die Kritik an unpolitischen, ressentimentgeladenen Islam-Hassern, die hinter jedem Muselmann den Attentäter wittern, berechtigt. Der Gegner sind vielmehr die Funktionäre der islamischen Verbände, die als kollektive Vertreter dieser Muslime auftreten, sie klientelpolitisch instrumentalisieren und daraus die Forderung ableiten, Staat und Gesellschaft nach ihren Forderungen umzugestalten. Sie verstehen Religionsfreiheit nicht als individuelles Freiheitsrecht, sondern als kollektives Mitspracherecht, als Ermächtigung zur politischen Teilhabe.

Liberale „Islamversteher“ wie der FAZ-Feuilletonist Bahners sind, sei es aus Ignoranz oder Berechnung, ihre Steigbügelhalter. Indem Patrick Bahners mit seiner undifferenzierten und individualistischen Auffassung von Religionsfreiheit alle Assimilationsforderungen an die muslimischen Einwohner Deutschlands verurteilt, macht er sich in der Tat, wie Thilo Sarrazin pointiert formulierte, zu „Erdogans Ghostwriter“. Der türkische Ministerpräsident vertraut ebenso wie die gemäßigt auftretenden Funktionäre der Islamverbände darauf, in den rasch wachsenden muslimisch-türkischen Parallelgesellschaften ein jederzeit mobilisierbares Potential der politischen Einflußnahme zu besitzen.

Die Assimilation muslimischer Einwanderer, die zugleich mit deren religiöser Säkularisierung einherginge, ist von daher eine staatspolitische Notwendigkeit. Freilich erfordert es mehr Mut, die Konfrontation mit den Islamverbänden zu suchen und ihren Machtanspruch zu brechen, als mit feingedrechselten Wortgirlanden Schritt um Schritt zu kapitulieren. Am Ende werden es jedoch nicht die Leutheusser-Schnarrenbergers und Bahners’ dieser Republik sein, die den demokratisch verfaßten Rechtsstaat der Deutschen als letzte verteidigen, sondern die von ihnen geschmähten Islamkritiker wie etwa die säkulare Muslimin Necla Kelek.

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