© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Identitätsstiftung durch Vergangenheit hat ausgedient
Die Entbehrlichkeit von Traditionen
(ob)

Immer deutlicher zeichnet sich das Singuläre unserer Kultur ab: die vermeintliche Entbehrlichkeit von Traditionen. Schon 1990 machte der französische Historiker Pierre Nora mit der Diagnose Furore, im langen 19. Jahrhundert habe das nationale Gedächtnis letztmalig kollektive Identität gestiftet. Auch weil Institutionen wie die Kirchen mit ihrem spirituellen Narrativ an Einfluß verlören, sei das nationale Gedächtnis im Zerfall begriffen. Heute reiße die Verbindung zwischen der Nation und ihrer identitätsstiftenden Vergangenheit immer mehr ab. So ist es nicht nur unter deutschen Historikern zur Mode geworden, den „konstruktiven“ Charakter jeder Form erinnerter Vergangenheit herauszustreichen. Ein Denkstil, dem jüngst auch Kirchenhistoriker huldigten, als sie unter Federführung von Christoph Markschies und Hubert Wolf den „Erinnerungsorten“ des Christentums „dekonstruierend“ zu Leibe rückten. Das Forscherpaar Elke Stein-Hölkeskamp (Gießen) und Karl-Joachim Hölkeskamp (Köln), das diese Methode soeben auf die griechische Antike anwandte, bringt das Selbstverständnis einer traditionslosen Postmoderne im Geschichtsmagazin epoc (2/2011) auf die griffige Formel: Erinnerung werde unablässig „neu ausgehandelt“. Diesem Prozeß falle derzeit etwa die Antike zum Opfer, „die seit zwei Generationen kein aktiv genutztes Bildungsgut mehr ist“. www.epoc.de

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