© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Lockerungsübungen
Die Macht ist verschwunden
Karl Heinzen

Die Freude an der vom Wähler verliehenen Macht, die Deutschlands Parlamentarier zur Schau zu stellen pflegen, ist nur eine Fassade, hinter der sich sensible, von Zweifeln an ihrem Tun geplagte Herzen verbergen. Dies ist die Botschaft einer Studie der Change-Centre-Foundation, die von dem Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann und dem PR-Berater Joachim Klewes verfaßt wurde. Ihre empirische Basis lieferte eine Umfrage, an der sich mehr als 2.000 Mandatsträger aus dem Bundestag, den 16 Landtagen sowie den Kommunalparlamenten der größten Städte beteiligten. Ihr zufolge begreifen die Volksvertreter zwar Veränderungen als Chance und sind offen für neue Ideen. Allerdings glauben nur sehr wenige von ihnen, daß sie mit ihrer Innovationsfreude etwas bewirken können. Eine gewisse Einflußnahme auf Veränderungen trauen sich je nach Politikfeld lediglich 10 bis bestenfalls 35 Prozent der Abgeordneten zu. Mehr als zwei Drittel der Parlamentarier leben durchweg in dem Gefühl, nur ohnmächtig zuschauen zu können.

Dieses Stimmungsbild überrascht, weil es nicht grundgesetzkonform ist. Unsere Verfassung nimmt nämlich an, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, das die Macht in die Hände gewählter Vertreter legt. Wenn diese nun aus ihrer Erfahrung heraus feststellen müssen, daß sie gar nichts oder nur sehr wenig bewegen können, hat sich offenbar ein Fehler eingeschlichen. Ist die Macht auf dem Weg von den Wählern in die Parlamente vielleicht irgendwo verlorengegangen? Oder ist sie gar beim Volk verblieben und dieses hat es bloß nicht bemerkt? Dies scheinen jedenfalls nicht wenige Abgeordnete zu vermuten. Befragt nach der Zuständigkeit für Veränderungen, weist knapp die Hälfte von ihnen diese den Bürgern zu.

Wo immer die Macht auch abgeblieben sein mag, muß doch ihre Abwesenheit nicht als Verlust für unser Gemeinwesen aufgefaßt werden. Im Gegenteil: Manche Veränderungsprozesse, zumal jene, die auf vehemente Ablehnung der Bürger stoßen, wären bedroht, wenn jemand über die Macht verfügte, ihnen in den Arm zu fallen. Auch gibt es für die vielbeschworene Politikverdrossenheit keinen Anlaß. Die Bürger liegen zwar richtig, wenn sie meinen, über ihre Zukunft nicht mitentscheiden zu können. Die von ihnen gewählten Politiker können aber gleiches von sich behaupten.

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