© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Die Schraube überdreht
Kalkulierte Provokation: Das Buch der „Tigermutter“ Amy Chua strotzt vor Übertreibungen
Ellen Kositza

Amy Chua ist „Die Mutter des Erfolgs“. Das wird keiner bestreiten, schon deshalb nicht, weil hunderttausende verkaufter Bücher – mit eben diesem Titel – schwerlich als Mißerfolg zu werten sind. Die amerikanische Jura-Professorin mit chinesischen Wurzeln hat eine 256seitige Polemik darüber geschrieben, wie sie durch bewußtes Abweichen vom „westlichen“ Erziehungsstil, nämlich durch hartnäckigen Drill ihren Kindern „das Siegen beibrachte“.

Für jemanden, der außerhalb der PR-Szene und ihrer Mechanismen steht, ist die Dynamik der damit angestoßenen Debatte unbegreiflich. Denn Amy Chuas Buch ist eine kalkulierte, eindimensionale Provokation. Die „Tigermutter“ kreist in leicht reißerischem Duktus um ziemlich genau eine These: Westliche Eltern, namentlich solche in den USA, seien in ihrer Erziehung ohne Ehrgeiz und vergeudeten die Jugend ihrer Kinder mit Spaßaktivitäten, verbrämt durch lächerliche Parolen von freiwilliger Selbstentfaltung und vom Dabeisein, das alles sei.

In Amerika, so höhnt Chua, gelten sogar „Versager auf ihre eigene besondere Art als etwas Besonderes“. Für chinesische Mütter hingegen sei bereits eine Eins minus ihrer Kinder eine Schmach, die es auf Teufel komm raus abzuwenden gelte. Mit Anstrengung und elterlicher Unerbittlichkeit – inklusive Androhung von Prügel und Essensentzug – sowie unter Verzicht auf Freizeit könne man aus seinen Kindern alles herausholen. „Tigermutter“ Amy Chua hat es demonstriert – erfolgreich bei ihrer älteren, heute sechzehnjährigen Tochter, mit Abstrichen bei der von Geburt an widerspenstigen jüngeren Schwester. Selbstreflexion oder auch nur Zwischentöne: Fehlanzeige.

Die eindrücklichsten Mittel Chuas, die sich trotz ihrer 48 Jahre ein elfengleiches Äußeres bewahrt hat, wurden in den letzten Wochen vielfach zitiert; um der Drastik willen sind einige davon auch gleich auf der Innenseite des Buchumschlags abgedruckt. Bei den angeblich ausnahmslos Tag für Tag persönlich betreuten drei- bis fünfstündigen Übungseinheiten ihrer Töchter an Klavier und Geige (man erinnere sich: die Frau ist berufstätig!) droht sie laut Selbstzitat: „Oh mein Gott, du wirst immer nur schlechter und schlechter! (…)Wenn das beim nächsten Mal nicht PERFEKT ist, NEHME ICH DIR SÄMTLICHE STOFFTIERE WEG UND VERBRENNE SIE!“ Die Tränen der Töchter lassen Chua nur noch unerbittlicher werden.

Oder: Beim Rechenwettbewerb schneidet die Tochter nur als Zweitbeste der Schule ab. Die Konsequenz: Abend für Abend werden nun 2.000 Aufgaben geübt – zusätzlich zum Instrumentalunterricht freilich. Solche Lektionen sitzen. Hilfreich sei auch, die Kinder als „Abfall“ oder „Müll“ zu beschimpfen: Die derart Gescholtenen werden sich reumütig bessern. Nur westliche Kinder, so Chua, fühlten sich hernach in ihrer Selbstachtung beschädigt.

Es ist eine Vielzahl solcher im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Übertreibungen, gepaart mit der ironiefreien Bruchlosigkeit, in der uns Chua ständig ihre eigene Hysterie vorführt („‘ENTSPANN DICH!’, kreischte ich …“), die überdeutlich machen, daß es nicht um eine redliche Auseinandersetzung mit Erziehungsmethoden geht, sondern daß hier, plump und plakativ, ein Medienrummel erfolgreich lanciert wurde.

Das Sonderbare ist, daß Chuas Schrift – nicht nur hierzulande, sondern zuvor bereits in den USA und nun auch in China – so eifrig und ernsthaft, wenn auch mit biederen, weil äußerst erwartbaren Argumenten diskutiert wird. Die Öffentlichkeit beträgt sich wie eine Schulklasse, in der allen Ernstes diskutiert werden soll, ob Delphine a) geschützt oder b) ausgerottet werden sollen. Die Wortmeldungen würden – vom Streber bis zum Außenseiter – von vergleichbarer Vorhersehbarkeit sein wie nun in der Tigermom-Debatte.

Einige Leute haben sich über Chuas Kinderbuildung so geärgert, daß sie ihr Morddrohungen ins Haus schickten. Linke Kommentatoren schreiben, die Frau spinne ja, die würde in Deutschland sicherlich das dreigliedrige Schulsystem befürworten; mäßigende Stimmen begründen umständlich, Chua habe nicht ganz unrecht, daß man Kinder nicht verhätscheln dürfe, aber sie übertreibe und hintertreibe den alten Bildungsgedanken. Bernhard Bueb wiederum, der Chuas Buch bewirbt – auch Thilo Sarrazin lobte es öffentlich! – bekennt, daß er sich heute Vorwürfe mache, weil er seine Kinder auch dann gelobt habe, wenn er wußte, daß „sie nicht ihr Bestes gegeben“ haben.

Bemerkenswert ist immerhin dies: Sämtliche erfolgreiche Erziehungsratgeber der vergangenen Jahre – Chuas Buch mag dabei nicht exakt in die Ratgeberrubrik fallen – predigten Strenge, klare Maßstäbe und eine Rückbesinnung auf elterliche Autorität. Auch wenn nicht alle Autoren wie Bueb („Lob der Disziplin“) und Michael Winterhoff („Warum unsere Kinder Tyrannen werden“) in dezidiert konservativem Ruch standen, so war das Credo in den Verkaufsschlagern von Susanne Gaschke („Die Erziehungskatastrophe“), Petra Gerster („Der Erziehungsnotstand“) und Jan-Uwe Rogge („Kinder brauchen Grenzen“) stets eines, das eine fundamentale Abkehr von jeglichem Laissez-faire und den progressiven Ideen der 68er-Pädagogen bedeutete.

Mag sein, daß Amy Chuas deutscher Verlag die Veröffentlichung des Buches nicht wegen seines fulminanten Verkauferfolges in den USA vorgezogen hat, sondern auch, um an die vor ein paar Wochen noch kochende Ursula-Sarrazin-Debatte über Erziehung anzuschließen. Womöglich wird Chuas kalkulierte Provokation jener Entwicklung eben nicht guttun, die seit Jahren verstärkt in der Kuschelpädagogik und überbehütenden Eltern ein Problem ausmacht. Denn die exaltierte Tigermutter, dabei fatal an die neurotische Mutterfigur aus Elfriede-Jelinek-Stücken erinnernd, hat die Schraube überdreht. Ihr Buch ist in der Lage, eine im Grunde positive und bereichernde Bewegung zu desavouieren. Möglicherweise wird dies nun zum stehenden Begriff für – besser: gegen – Eltern und Lehrer, die Kinder zu Leistungsbewußtsein und Ausdauer erziehen: „Das sind ja Tigermutter-Methoden!“ Maß und Mitte sehen anders aus. Auf Ursula Sarrazins Buch darf man gespannt sein.

Amy Chua: Die Mutter des Erfolgs. Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte. Nagel & Kimche, Zürich 2011, geb., 256 Seiten, Abb., 19,90 Euro

Foto: „Die Mutter des Erfolgs“, Jura-Professorin Amy Chua:Lancierter Medienrummel

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