© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Nichts Genaues weiß man nicht
Marcus Schmidt

Kundus-Affäre? Um was ging es da eigentlich noch genau? Diese Frage stellten sich in der vergangenen Woche in Berlin nicht wenige politische Beobachter, als am Donnerstag die lange erwarteten Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem früheren Außenminister und jetzigen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier vor dem Kundus-Untersuchungsausschuß auf der Tagesordnung standen. Denn eigentlich ist der schnellebige politische Betrieb schon längst über die Ereignisse im afghanischen Kundus hinweggegangen, sind aus Koalitionspartnern wieder politische Gegner geworden. Nur in Afghanistan herrscht immer noch Krieg.

Wir erinnern uns: Am 4. September 2009 bombardieren amerikanische Kampfflugzeuge in der Nähe von Kundus im Norden Afghanistans zwei von den Taliban entführte Tanklastzüge. Den Angriff hatte ein deutscher Oberst angefordert, da die Bundeswehr befürchtete, die Tanklaster könnten als rollende Bombe gegen das deutsche Feldlager in Kundus eingesetzt werden. Über die Opfer des Luftangriffes gibt es unterschiedliche Angaben. Nach Informationen der Nato wurden bis zu 142 Personen getötet. Nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft lassen sich 50 Opfer namentlich nachweisen.

Keine Zweifel gibt es aber mehr daran, daß unter den Opfern nicht nur Taliban-Kämpfer, sondern auch Zivilisten waren. Eine innenpolitisch höchst brisante Angelegenheit. Und darum geht es im Kern der „Kundus-Affäre“, die im November 2009 den damals bereits ins Arbeitsministerium gewechselten ehemaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) das Amt kostete – ebenso wie den Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan und den Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Wichert. Und für einen kurzen Augenblick durfte die Opposition damals sogar hoffen, Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg ebenfalls zu Fall zu bringen. Ihnen allen wurde vorgeworfen, die Öffentlichkeit beziehungsweise ihre Vorgesetzten nicht rechtzeitig über die tatsächlichen Ausmaße des Angriffes informiert zu haben.

Seit gut einem Jahr versucht der Kundus-Ausschuß daher unter anderem die Frage zu beantworten, wer wann darüber Bescheid wußte, daß auch Zivilisten dem Luftangriff zum Opfer gefallen sind. Doch auch nach den Aussagen Merkels und Steinmeiers ist man in dieser Angelegenheit nicht viel schlauer als vorher. Merkel gab zu Protokoll, sie habe schon bald nach dem Angriffs nicht ausgeschlossen, daß es zivile Opfer gegeben haben könnte – anders als zunächst  Jung, wie sie ausdrücklich hinzufügte. Die Zusammenarbeit mit Steinmeier bei der Aufarbeitung des Angriffs sei gut gewesen. Und auch Steinmeier wollte nichts Schlechtes über die Kanzlerin sagen. So etwas nennt man dann wohl einen Nichtangriffspakt.

Der Ausschuß hat mit seiner mittlerweile 49. Sitzung die Zeugenbefragungen abgeschlossen. Bis zum Sommer soll nun der Abschlußvericht erstellt werden. Überraschungen sind nicht zu erwarten. Dann wird die Kundus-Affäre endgültig zu den Akten gelegt.

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