© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Der Flaneur
Rudi Ratlos wird zensiert
Toni Roidl

Neulich in einer örtlichen Diskothek: Eine Coverband interpretiert alte und neuere Schlager des Deutschrock-Fossils Udo Lindenberg, von der „Andrea Doria“ bis „Bodo Ballermann“. Die Musiker sind zwar durchschnittlich nur halb so alt wie die Silberrücken des „Panikorchesters“, doch das Publikum sieht aus, als hätte es dem Original schon zugejubelt, als dieser noch Haare unterm Hut hatte.

Die Oldiekapelle heizt eifrig ein, und die Stimmung ist prächtig. Als der Udo vom Dienst „Rudi Ratlos“ ankündigt, fliegen alle Arme hoch. Der rockige Tango geht los: „Rudi Ratlos heißt der Geiger ...“ Mit einer Träne im Knopfloch schwebt das mitsingende Publikum auf eine sentimentale Zeitreise in die lange vergangene Jugend in den siebziger Jahren. Doch was ist das? Da stimmt was nicht! Von der ersten Strophe springt die Band direkt in den Refrain. Wo bleibt der zweite Vers? Weg. Gestrichen. Der geht nämlich so: „... schade, schade, Berlin ’33 – da war er der beste Geiger der Stadt. Da war er Liebling aller Frauuun und außerdem Leibmusikalartist von Adolf Hitler und Eva Brrrauuun ...“

Kurzzeitig sind die mitsingenden Zuschauer irritiert und aus dem Takt. Doch schnell haben sie sich wieder gefangen und schunkeln selig weiter. Und doch hat die ganze Veranstaltung plötzlich etwas eigenartig Verkrampftes. War das ein Versehen? Bei der Ton für Ton peniblen Detailtreue der Darbietung gewiß nicht. Nein, Selbstzensur. Die berühmte Schere im Kopf. Der Name des Unaussprechlichen darf nicht genannt werden, um kein Unheil zu beschwören.

Wie krank ist das, wenn jetzt schon die Werke einst subkultureller Alternativkünstler politisch korrekt „gesäubert“ werden müssen, um keinen Anstoß zu erregen oder Verdacht zu wecken! Das erinnert an die Prüderie der viktorianischen Zeit, als selbst die Beine eines Konzertflügels mit züchtigen Rüschenhöschen verhüllt wurden.

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