© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

„Ich male nur giftig“
Von der Stabilität des Schwachsinns: Der Maler Sigmar Polke wäre am Sonntag siebzig geworden / Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste
Sebastian Hennig

Wer über Sigmar Polke schreiben will, der kann wenig abschreiben. Nur einmal hat sich der Künstler ausführlich zur Beantwortung von Fragen über sein Arbeiten herabgelassen. Das war vor fünfzwanzig Jahren für die französische Art Press. In Kurt-Schwitters-Manier kanzelt er anhand der französischen Avantgarde die Moderne ab: „Eine Nation, die Freiheit und Gleichheit proklamiert, die haben überhaupt keine Feindbilder, können auch andere Bilder nicht mehr lesen. Die sind Braque-geschädigt, von Gitarren verseucht und von Stilleben betäubt, wenn die wenigstens noch mit Gift gemalt wären, die Orangen! Die großen Einluller, die Schnuller, Picasso und Luller, Frikasso.“

Da wird deutlich: Des Düsseldorfers Malerei befindet sich zur missionarischen Moderne in einem ähnlichen Verhältnis wie der Sound von Kraftwerk zur Blues-basierten Rockmusik. Auch mit dem progressiven Engagement ist es nicht weit her: „Ich male nicht giftig, weil das draußen passiert. Ich male nur giftig.“

Je mehr ihn der Ruhm getragen hat, um so entschiedener hat er seine Person herauszuhalten gewußt. Die wenigen Fotos zeigen einen höflichen, unauffälligen Menschen. Klaus Staeck, der zur Zeit in der Akademie der Künste eine Polke-Ausstellung zusammengestellt hat, dokumentiert darin vor allem sein Werben.

Die Familie des am 13. März 1941 im schlesischen Oels geborenen Sigmar Polke verschlägt es nach Thüringen. 1953 fliehen sie erst nach West-Berlin, dann nach Düsseldorf. Polke nistet sich in keine Sparte der progressiven Kunst ein, die sich um so fortschrittlicher dünkt, je arrivierter sie wird. Er verwendet Deko-Stoffe, synthetische Flauschdecken, gestreifte Schlafanzüge, Plastikfolien und Tapeten als Bildgründe. Seine Motive sind Themen aus der Werbung, aus der Filmwelt oder Comics, bei deren Umsetzung er sich des polygraphischen Punkt-rasters als zugleich formendes wie bildzersetzendes Element bedient. Alle Bilder zerbröseln so wie unter einer Lupe in Partikel. In seinen „Linsenbildern“ trägt er über der Malschicht eine durchsichtige Kunststoffmasse auf, die mit einem Kamm zu gleichmäßigen Rillen modelliert wird. Der manuelle Vollzug bleibt immer wichtig.

Bei allen beißenden Kommentaren ist die andere Waagschale immer mit Selbstironie austariert. Seine Happenings der Anfangszeit sind fröhlich-wirre Feste. Wenn er auf einer Fotoserie von 1973 sich in der Haut eines Netzpython räkelt, hat das nichts gemein mit dem quasireligiösen Schamanen-Getue seines (Akademie-)Lehrers Joseph Beuys. Während sein früher Mitstreiter unter dem Banner „Kapitalistischer Realismus“ Gerhard Richter über die Jahre selbst ein kalkulierbarer Markenartikel wurde, bemüht sich Polke bis zuletzt um Rätselhaftigkeit.

Mit den Glasfenstern für das Zürcher Großmünster hat er schließlich ein bizarres Vermächtnis hinterlassen. Einerseits hat er damit seinen alchemistischen Untersuchungen, die er seit den achtziger Jahren betrieb, die Krone aufgesetzt. Damals experimentierte er mit Silbernitrat, Auripigment, Schellack, Schweinfurter Grün, Eisenglimmer und anderen Ingredienzien. Ein vorläufiger Höhepunkt dieser Darstellungen waren die wärmeempfindlichen Bilder, die er 1986 im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig zeigte, und die je nach Tages-temperatur die Farben änderten.

Andererseits kehrt er mit der Verzierung der Wirkungsstätte Zwinglis, die seit dem Bildersturm bis in das 20. Jahrhundert schmucklos blieb, an den Ausgangspunkt seiner Laufbahn zurück: Vor dem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie lernte er das Handwerk eines Glasmalers. Mit Urs Rickenbach vom Zürcher Glasmaler-Atelier Mäder erprobte er von 2006 bis 2009 alte und neueste Techniken reliefartiger Verschmelzung, verfließender Schwarzlotmalerei und Bleifassungen.

Anders als bei Neo Rauchs Fenster in Naumburg oder Gerhard Richters dekorativer Fortsetzung im Kölner Dom, die beide nichts weiter als medial inszenierte Marketing-Kampagnen waren, beeindruckt die Intensität und Gegenwärtigkeit, mit der in Zürich gearbeitet wurde. Zudem hat sich Polke vorsichtig eingefügt mit seinen Gestaltungen, nicht nur in die alte Architektur, sondern auch im Verhältnis zu den Chorfenstern von Augusto Giacometti aus dem Jahr 1933.

Fünf der äußerlich maßvollen Fenster Polkes zeigen alttestamentarische Figuren („König David“, „Isaaks Opferung“, „Elijas Himmelfahrt“, „Der Sündenbock“ und „Der Menschensohn“ ) die sowohl gestalterisch wie auch ikonographisch auf die dominanten hohen Chorfenster Giacomettis mit „Christi Geburt“ hinlenken. Sieben weitere Fenster sind Zusammenfügungen aus naturbelassenen und eingefärbten Achatscheiben. Der kreative Druck kosmischer Gewalten tut sich hier im Material ohne figurative Gestaltung unmittelbar kund. Eine Buchmalerei aus dem 13. Jahrhundert zeigt den Schöpfergott entwerfend über eine Achatscheibe gebückt.

Im vergangenen Sommer ist der irritierende Künstler gestorben. Ob Sigmar Polke letztlich in Gottfried Benns Sinn „hinterlassungsfähige Kunstgebilde“ erzeugte, welche zum Beispiel die Gesangbuchtexte und regionalgeschichtlichen Aufsätze seines älteren Bruders, des Theologen und Heimatforschers Johannes Polke überdauern, bleibt dem unbestechlichen Gericht der Zeit anheimgestellt. Möglicherweise entspricht es aber seinen eigenen Intentionen, wenn seine gemalten Essays über das Bild und die Malerei weniger Werk als vielmehr flüchtiges Phänomen einer schwindenden Epoche sind, für welche die von ihm modifizierte CDU-Wahlparole gilt: „Wir bauen den Fortschritt auf ... Schwachsinn.“

Die Ausstellung„ Sigmar Polke – Eine Hommage“ ist bis zum 13. März in der Berliner Akademie der Künste, Pariser Platz 4, täglich außer montags von 11 bis 20 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 2 00 57-0

 www.adk.de

Fotos: Sigmar Polke, Bargeld lacht (2002): Um Rätselhaftigkeit bemüht, Sigmar Polke und Klaus Staeck (1997): Werben um den Künstler

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