© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Die Aura ist erhalten geblieben
Zwischen den Zeilen lesen: Eine Ausstellung im Buchmuseum der Sächsischen Landesbibliothek über Dresden und den 13. Februar 1945
Sebastian Hennig

Den Mythos Dresdens als eines Ortes von gleichsam weiblicher hingebender Schönheit stifteten vor zweihundert Jahren erst Herder, der vom Elbflorenz schrieb, und sodann die Frühromantiker. Die Einbettung eines anmutigen, maßvollen Stadtbildes in die liebliche Umgebung  schildert E. T. A. Hoffmann in seiner phantastischen Erzählung „Der goldene Topf“: „Dicht vor ihm plätscherten und rauschten die goldgelben Wellen des schönen Elbstroms, hinter demselben streckte das herrliche Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den duftigen Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch grünenden Wälder, und aus tiefer Dämmerung gaben die zackichten Gebirge Kunde vom fernen Böhmerlande.“

Drei kriegsbedingte Wellen der Zerstörung wälzten sich über Deutschlands Städte. Der Bauboom der Gründerzeit brach mit ihrer gewachsenen Gestaltung. So gingen Hamburg, Berlin und Frankfurt eigentlich schon zwischen 1871 und 1900 unter. Die alten fotometrischen Aufnahmen der Königlich Preußischen Meßbildanstalt zeigen das Ausmaß des Verlustes. Angesichts dieser bedauerlichen Selbstaufgabe scheint die Zerstörung durch unmittelbare Kriegseinwirkung wie ein unabwendbares Fatum höherer Gewalt.

Doch danach ging das selbstbewußte Zerstörungswerk weiter. Die ganze Zwingeranlage, einschließlich Sempergalerie stand auf der Abräumliste. Nur der List und Geistesgegenwart einzelner ist es zu verdanken, wenn in Dresden die Ruinen für den Wiederaufbau gesichert wurden. Der Blick in das „ferne Böhmerland“ wird bis heute durch zwei häßliche Hochhäuser am Terrassenufer versperrt, deren Abriß eine gute Ausgleichsmaßnahme für den Bau der Waldschlößchenbrücke hätte sein können.

Eine Ausstellung im Buchmuseum der Sächsischen Landesbibliothek ist dem Umgang mit dem einschneidendsten Ereignis der jüngeren Stadtgeschichte gewidmet. Keine Entmystifizierung wird betrieben, sondern eine differenzierende Mythenschau – die offenbar üblichen historischen Verzerrungen und politischen Korrektheiten einmal beiseite gelassen. Nicht zuletzt die Eintragungen im Gästebuch beweisen, daß es sich bei diesem Thema nicht um ein abgegrastes Feld handelt, sondern das Gespräch darüber eigentlich noch gar nicht richtig eröffnet wurde.

An der Wand begeben sich 28 Tafeln auf Spurensuche in verschiedenen Stadtteilen und verknüpfen Relikte, Leerstellen und Überbauungen zu einer „Symbolarchäologie“. Die Ausstellung beschreibt das Privileg der Dresdner, im Fahrwasser der antiimperialistischen Propaganda immerhin einen Teil ihrer persönlichen Erfahrungen und Leiden mitgeführt zu finden, während anderen mitteldeutschen Städten mit einem vergleichbaren Schicksal jedes offizielle Gedenken verwehrt blieb.

In den fünfziger Jahren führten Sternmärsche durch das verwüstete Stadtzentrum auf den am nördlichen Stadtrand gelegenen Heidefriedhof, dem Bestattungsort der Bombenopfer. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, deren Schirmherrin die Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) ist, darauf hinzuweisen, wie gleich nach 1990 neue Rücksichten das Datum beanspruchten und sich wieder keine normale Perspektive durchsetzen konnte.

Bereits die Übernahme des Themas durch die kirchliche Friedensbewegung in den achtziger Jahren gehört in die Geschichte der Instrumentalisierung des 13. Februar. Die antifaschistisch-pazifistische Bekenner-Rhetorik nahm in dem Maße zu, wie die Präsenz der schweigenden, wortlosen Trauer der Zeitzeugen generationenbedingt zurückging. Die Wahrheit ihrer Empfindung liegt heute wie immer seit 1945 in der Brust der Dresdner verborgen. Eine Projektion von Filmsequenzen mit verschiedenen Kundgebungen, von der offiziellen städtischen, über die Antifaschisten, bis zur Jungen Landsmanschaft Ostdeutschland zeigen die Unangemessenheit gegenwärtiger Äußerungen. Bekenntnisse machen mißtrauisch, denn, in der Sprache des Evangeliums: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ So war in Dresden die Notwehr gegen die Fortsetzung der Zerstörung seit je die deutlichste Kundgebung.

In den achtziger Jahren verhinderten Denkmalschützer den Abriß des Bürgerhauses Große Meißener Straße 15, welches daraufhin in das devisenträchtige Interhotel „Bellevue“ integriert werden mußte. Der riesige bunte Napfkuchen eines US-amerikanischen Architekten, welcher auf dem Gelände der alten Orangerie eine moderne Kunsthalle beherbergen sollte, konnte zehn Jahre darauf ebenfalls abgewendet werden. Einem Bürohochhaus wurden die übertriebenen Stockwerke abgehandelt. Die künstlerische Fassaden-Dekonstruktion des Arsenalhauptgebäudes in der Albertstadt hat dagegen sogar der Landeskonservator befürwortet. Vielleicht um einmal exemplarisch den Verdacht prinzipieller Rückständigkeit zu zerstreuen und weil das Militärhistorische Museum weitab vom Zentrum liegt. Auch die aktuellen Streitfragen um neue Staustufen in der Elbe und die Waldschlößchen-Brücke lassen sich nur vor diesem Hintergrund verstehen.

Jenseits der Opferzahlen-Kontroverse und auch jenseits der touristisch ausgerichteten Kunststadt-Attitüde hat sich Dresden die Aura eines besonderen Ortes erhalten. Auf der Brühlschen Terrasse und der Augustusbrücke werden am Wochenende die Touristenströme durch einen kräftigen Zuschuß an Einheimischen korrigiert. Weniger versehrte Städte, wie zum Beispiel Prag, bewahrten ihren überlieferten Glanz nur als Kulisse, während ihre differenzierte Seele aus dem Schutt des Krieges und des militanten Nationalismus nie wiederkehrte. Stefan George fragte einst herausfordernd: Was ist Mord an Tausenden vor Mord am Leben selbst?

Die Ausstellung „Erinnerung, Gewalt, Verdrängung – Dresden und der 13. Februar“ ist bis zum 3. April im Buchmuseum der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Zellescher Weg 18, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen.

www.slub-dresden.de

Foto: Blick auf die Trümmerlandschaft Dresdens vom Turm des Neuen Rathauses aus, fotografiert von Richard Peter senior (1945): Die Wahrheit liegt seit 1945 in der Brust der Dresdner verborgen

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